Abbau Ost
weiterer Staatsunternehmen, auf mindestens zwei Millionen Beschäftigte. Noch katastrophaler war, was
sich die alte Bundesrepublik mit dem öffentlichen Dienst leistete. Im unmittelbaren westdeutschen Staatsdienst stiegen die
Beschäftigtenzahlen zwischen 1950 und 1989 von 2,282 Millionen auf 4,865 Millionen Beamte, öffentliche Angestellte und Arbeiter.
Allein zwischen 1950 und 1960 kamen 872 000 öffentliche Beschäftigte hinzu, davon – nach Gründung der Bundeswehr am 5. Mai
1955 – knapp 150 000 Berufssoldaten. Zwischen 1960 und 1970 schufen die öffentlichen Verwaltungen 721 000 neue Stellen und
setzten im darauf folgenden Jahrzehnt weitere 782 000 Mitarbeiter auf die Gehaltslisten des Staates. Allein im Laufe des Jahres
1971 kam es in Westdeutschland zu 166 000 Neueinstellungen, ohne dass sich an den Aufgaben des Staates etwas geändert hätte.
Über die Jahrzehnte hatte sich das Verhältnis der produktiv Erwerbstätigen zur übrigen Bevölkerung ständig verschlechtert.
Es wurde immer deutlicher, dass die gewerbliche Wirtschaft die Last eines überfrachteten Staatsüberbaus nicht mehr tragen
konnte und sich unternehmerisches Engagement immer weniger lohnte. Der Staat deckte seine Bedürftigkeit über eine ungerechte,
selbst vom Fachpersonal nicht mehr zu überschauende Steuergesetzgebung. Den ungebührlich hohen Aderlass für Unternehmen und
Arbeitnehmer kaschierte der Fiskus durch eine willkürlich konstruierte, international unübliche Trennung von Steuern und gesetzlich
verpflichtenden Zahlungen an die staatlichen Sozialkassen. Statt wie andere Nationen von Sozialversicherungssteuern zu sprechen,
bevorzugte der deutsche Fiskus Begriffe wie Lohnnebenkosten |42| oder Sozialabgaben und erweckte den Eindruck, dass die Steuerlast im internationalen Vergleich gar nicht so hoch ausfallen
würde. Der staatliche Finanzbedarf verschärfte sich durch ständige Einkommensverbesserungen der Staatsbeschäftigten. Spätestens
seit den 70er Jahren übten öffentliche Beschäftigungsverhältnisse auf Arbeitnehmer einen größeren Reiz aus als Anstellungen
in der gewerblichen Wirtschaft. Der Staat zahlte nicht nur ebenso hohe oder gar höhere Gehälter, die Staatsanstellung bot
darüber hinaus ein weit höheres Maß an beruflicher Sicherheit, geregelte Arbeitszeiten, ein kaum noch überschaubares Netz
von allen nur denkbaren Vergünstigungen und eine geradezu üppige Altersvorsorge. Hinter dem für das gesamte Bundesgebiet geltenden
Flächentarifvertrag stand eine ungeheure Gewerkschaftsmacht. Tarifabschlüsse galten bundesweit für alle öffentlichen Bediensteten
und noch weitere Millionen Arbeitnehmer, die nach Bundesangestelltentarif bezahlt wurden oder deren Einkommen sich am öffentlichen
Tarif orientierte. Angesichts dieser Gewerkschaftsmacht und der Tatsache, dass Politiker – in ihrer Funktion als öffentliche
Arbeitgeber – ihre Wahl auf die eine oder andere Art dem öffentlichen Dienst verdankten, wurden Tarifverhandlungen regelmäßig
zu einer Farce. Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes erhöhten die Einkommen für ihre millionenstarke Klientel praktisch
im Alleingang. Und ihre Forderungen wurden immer maßloser. Es gab Jahre, so beispielsweise 1974, da konnten die Gewerkschaften
Einkommensverbesserungen von bis zu 18 Prozent durchsetzen.
Schon lange vor der deutschen Einigung gab der westdeutsche Staat Jahr für Jahr mehr Geld aus, als er seiner Bevölkerung an
Steuern abverlangte. Trotz einer reichlich gefüllten Staatskasse genehmigten sich die Gebietskörperschaften über Kredite finanzierte
Nachtragshaushalte oder planten eine milliardenschwere Neuverschuldung gleich in den regulären Haushalt ein. Beim öffentlichen
Schuldenmachen ging der Bundestag mit schlechtem Beispiel voran, und so, gleichsam durch das Bonner Parlament ermutigt, ließen
auch Landesparlamente, Stadtverordnetenversammlungen und Bürgerschaften alle Hemmungen fallen und lasteten, |43| indem sie einer immer höheren Neuverschuldung zustimmten, die Kosten für ihr Wohlergehen künftigen Generationen auf. Die offiziell
ausgewiesenen, altbundesdeutschen Schuldenprobleme schienen bis Mitte der 70er Jahre noch einigermaßen beherrschbar. Im Jahre
1961 gab es, stellvertretend hier das Beispiel der Bundesfinanzen, eine letzte Tilgung von knapp einer Milliarde D-Mark. Seitdem
konnte die Bundesrepublik nicht ein Jahr mit ihrem Geld haushalten. Zwischen 1975 und 1988 lag
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