Abbau Ost
Industrieproduktion der DDR erreicht.
Damit die DDR den Schuldendienst für die geplante Kreditaufnahme bis Mitte der 90er Jahre – weiter dachte offenbar niemand
voraus – leisten konnte, hätte die ostdeutsche Wirtschaft, bei gleichbleibenden Importen von gut zwölf Milliarden D-Mark jährlich,
ihre Exporte in den Westen innerhalb von nur fünf Jahren auf 24 Milliarden D-Mark verdoppeln müssen. Das war, darüber herrschte
Einigkeit in dem Planungskollektiv, in den damaligen planwirtschaftlichen Strukturen unmöglich. Und so mahnte das Schürer-Papier
eindringlich jene wirtschaftlichen Veränderungen an, die der DDR das Tor zum Westen öffnen sollten. »Die Feststellung«, hieß
es unmissverständlich, »dass wir über ein funktionierendes System der Leitung und Planung verfügen, hält einer strengen Prüfung
nicht stand. Durch neue Anforderungen, mit denen die DDR konfrontiert war, entstanden im Zusammenhang mit subjektiven Entscheidungen
Disproportionen, denen mit einem System aufwendiger administrativer Methoden begegnet werden sollte. Dadurch entwickelte sich
ein übermäßiger Planungs- und Verwaltungsaufwand. Die Selbständigkeit der Kombinate und wirtschaftlichen Einheiten sowie der
Territorien wurde eingeschränkt.« Die Arbeitsproduktivität in der DDR, klagten die Funktionäre, »liegt gegenwärtig um 40 Prozent
hinter der BRD zurück. In bestimmten Bereichen der Volkswirtschaft sind die Ausrüstungen stark verschlissen, woraus sich ein
überhöhter und ökonomisch uneffektiver Instandhaltungs- und Reparaturbedarf ergibt. Darin liegt auch eine Ursache, dass der
Anteil der Beschäftigten mit manueller Tätigkeit in der Industrie seit 1980 nicht gesunken ist, sondern mit 40 Prozent etwa
gleich blieb.«
|38| Die Schlussfolgerungen des Schürer-Papiers liefen auf »eine an den Marktbedingungen orientierte sozialistische Planwirtschaft«
hinaus und auf einen »demokratischen Zentralismus, wo jede Frage dort entschieden wird, wo die dafür nötige, größere Kompetenz
vorhanden ist«. Dazu wurde eine Reihe von Maßnahmen, immer unter dem Damoklesschwert drohender Zahlungsunfähigkeit, gefordert,
die geeignet waren, die DDR in mancherlei Hinsicht westlicher zu gestalten, als es selbst die alte Bundesrepublik war. »Es
ist eine Umstrukturierung des Arbeitskräftepotenzials erforderlich, um das Missverhältnis zwischen produktiven und unproduktiven
Kräften in der gesamten Wirtschaft und im Überbau zu beseitigen, d. h. drastischer Abbau von Verwaltungs- und Bürokräften
sowie hauptamtlich Tätiger in gesellschaftlichen Organisationen und Einrichtungen. Die DDR ist interessiert, mit Konzernen
und Firmen der BRD und anderen Ländern zu kooperieren, Lizenzen und Technologien zu übernehmen, Leasinggeschäfte durchzuführen
sowie die Gestattungsproduktion weiter zu entwickeln, wenn der Aufwand refinanziert und ein Gewinn erreicht werden kann. Um
der BRD den ernsthaften Willen der DDR zu unseren Vorschlägen bewusst zu machen, ist zu erklären, dass durch diese und weitergehende
Maßnahmen der ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit DDR – BRD noch in diesem Jahrhundert solche Bedingungen
geschaffen werden könnten, die heute existierende Form der Grenze zwischen beiden deutschen Staaten überflüssig zu machen.«
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Die postindustrielle Konsumgesellschaft
Als in Ostdeutschland nach und nach die Lichter ausgingen, erstrahlte der Westen nur umso heller. Unmittelbar an den Ostblock
grenzte die erfolgreichste Industrienation Europas. So wie die Vereinigten Staaten und Japan hatte die Bundesrepublik eine
erstaunliche Nachkriegskarriere absolviert und zählte zum Trio der erlesenen Volkswirtschaften. Während die japanische Kultur
dem alten Kontinent immer fremd geblieben war und die Vereinigten |39| Staaten Rassenschranken und soziale Gegensätze duldeten, wie sie in Westeuropa kaum auszuhalten wären, legte die Bundesrepublik
um Wirtschaft und Sozialstaat eine rosarote Schleife und präsentierte sich als Musterschülerin der sozialen Marktwirtschaft.
Wer auf der Strecke blieb oder dem Wettbewerb nicht gewachsen war, endete nicht auf der Straße, sondern konnte sich mit Arbeitslosengeld,
zeitlich unbegrenzter Arbeitslosenhilfe, mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Umschulung, Weiterbildung oder der Aufnahme eines
Studiums und gelegentlich ein wenig Schwarzarbeit gut über Wasser halten. Die Quelle dieses Reichtums, eine
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