Abbau Ost
die Neuverschuldung Jahr für
Jahr im zweistelligen Milliarden-Bereich und schwankte zwischen 22,2 Milliarden D-Mark 1977 und 38,2 Milliarden D-Mark 1981.
Diese Schulden sammelten sich an, obwohl der Staat ständig die Steuern erhöhte und sich in nahezu jedem Jahr höhere Einnahmen
sicherte. Im Jahr 1951 beispielsweise stiegen die Staatseinnahmen um 25,7 Prozent, im Folgejahr verbuchte der Fiskus gleich
noch einmal ein Plus von 9,2 Prozent. In den 70er Jahren erfreute sich der Staat an einer schnellen Folge weiterer, geradezu
üppiger Einkommenszuwächse: 1971 – 11,2 Prozent, 1972 – 9,2 Prozent, 1973 – 12,1 Prozent …, und immer wenn die Steigerung,
wie beispielsweise 1975 mit nur 0,2 Prozent etwas mager ausfiel, beschloss der Bundestag eine besonders hohe Neuverschuldung.
Selbst in den 80er Jahren, in denen bereits über zwei Millionen Arbeitslose auf ernste wirtschaftliche Probleme deuteten,
blieb der Fiskus unersättlich und verschaffte sich fast jedes Jahr höhere Einnahmen. Lediglich 1988 gab es gegenüber dem Vorjahr
ein Minus von 0,7 Prozent, wofür dann die Zuwächse 1989 mit 12,7 Prozent wieder besonders hoch ausfielen.
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen deuteten schon in den 70er Jahren, unübersehbar aber in den 80ern, auf den Niedergang
der Bundesrepublik Deutschland. Fehlentwicklungen traten in allen Staaten auf, eine Besonderheit aber, durch die sich Westdeutschland
von anderen westlichen Industrienationen unterschied, war der Mangel an kritischer Reflektion und eine ganz offen gelebte
Selbstgefälligkeit. Es mangelte nicht nur an Einsicht und Veränderungsbereitschaft, jene die Politik beeinflussenden gesellschaftlichen
Kräfte blockierten sich gegenseitig und hielten die Republik auf einem Kurs, der geradewegs zum Abgrund führte. |44| Die westdeutsche Gesellschaft war 1990 nicht in der Verfassung, dass sie die DDR übernehmen und den Weg zu Freiheit und Wohlstand
weisen konnte. Im Rückblick scheint es geradezu tragisch, wie sich die alte Bundesrepublik an den Status quo klammerte, während
die DDR-Bürger ihr bisheriges Leben grundsätzlich infrage stellten, allen Ballast abwarfen und bereit waren für etwas wirklich
Neues. Zu dem Zeitpunkt, wo plötzlich alles möglich war, gaben die DDR-Bürger ihr eigenes Gemeinwesen verloren und überließen
sich quasi willenlos und ohne rechtlichen Rückhalt einem kaum weniger erneuerungswürdigen Gesellschaftsmodell. Wussten die
letzten Volkskammerabgeordneten, als sie mit deutlicher Mehrheit für die D-Mark-Umstellung und den Beitritt fünf neuer Bundesländer
stimmten, worauf sie sich einließen? Bei einer realistischen Bestandsaufnahme der Schuldensituation, der westdeutschen Staatswirtschaft,
des Beamtenstaates samt seiner wirtschaftsfeindlichen Fiskalpolitik und einer kritischen Betrachtung des fragwürdigen Zustandes
der bundesdeutschen Demokratie hätten die Volkskammerabgeordneten dem sofortigen Beitritt unmöglich zu den im Einigungsvertrag
ausgehandelten Bedingungen zustimmen können.
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»Schicksalsschwere Stunden«
Heute wird behauptet, der Einigungsprozess sei durch »schicksalsschwere Stunden« vorangetrieben worden, den Akteuren seien
die Hände gebunden gewesen, die Dramaturgie folgte einem durch die »friedliche Revolution« und außenpolitische Zwänge vorgegebenen
Szenario. Der dem langjährigen Ministerpräsidenten Sachsens, Kurt Biedenkopf, zugeschriebene und oft kolportierte Ausspruch:
»Bei der nächsten Wiedervereinigung machen wir alles besser«, ist zwar ein Eingeständnis, dass Fehler gemacht wurden, blockiert
aber zugleich jede kritische Auseinandersetzung mit den damaligen Akteuren und ihren Entscheidungen. Die Überwindung der Teilung
war die letzte und zugleich großartigste Bewährungsprobe in dem zu Ende gehenden, für die Deutschen |45| so ereignisreichen Jahrhundert. Es gab keinen Plan und kein geschichtliches Vorbild für dieses außergewöhnliche gesellschaftliche
Ereignis, und dennoch haben handelnde, mit Macht und dem Mandat von Wählern ausgestattete Menschen die deutsche Einigung geprägt
und vorangetrieben.
Diese Menschen haben Namen und klar zu benennende Verantwortlichkeiten. Außenpolitische Vorgaben stellten nur die Kulisse,
auf der die Deutschen ihr ureigenstes Stück aufführten. Das gesamte Einigungsprozedere, das lag in der Macht der handelnden
Personen, hätte gänzlich anders verlaufen können. Das begann spätestens Mitte
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