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Abbau Ost

Titel: Abbau Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Baale
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Privathaushalte die neue Wirtschaftsordnung fast schuldenfrei begrüßten, starteten
     die meisten Volkseigenen Betriebe und Genossenschaften mit einer erdrückenden Altschuldenlast in die Marktwirtschaft. Mit
     der D-Mark-Umstellung war ein Großteil der ostdeutschen Unternehmen praktisch von einem auf den anderen Tag pleite, weil sie
     ihre sozialistischen Schulden, die ihnen nun als reale, hochverzinste Kredite anhafteten, nicht bezahlen konnten.
    |54| Dieses Problem kam in dem aufgeregten D-Mark-Sommer des Jahres 1990 sehr wohl zur Sprache, aber damals gab es so viel zu berichten
     und das Ganze war derart kompliziert und so verworren, dass die Altschuldenfrage in dem Einigungstrubel beinahe unterging.
     Jahrelang wurde das Problem unter der Decke gehalten. Auch die Geschäftsführer der ehemals Volkseigenen Betriebe machten das
     Altschuldenthema nicht öffentlich, denn sie unterstanden der Treuhandanstalt, über die wiederum das Bundesfinanzministerium
     die Rechtsaufsicht führte, genau jene Behörde, die das Altschuldendilemma zu verantworten hatte. Es sollte vier Jahre dauern,
     ehe das Problem auf den Schreibtischen der Verfassungsrichter landete. Denen schien es angesichts der finanziellen Dimension
     die Sprache zu verschlagen. Drei Jahre lang ließen sie nichts von sich hören. Das Altschuldenproblem war selbst für das Bundesverfassungsgericht
     einige Nummern zu groß.

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Herr Schmidt aus Bernkastel-Kues
    Der Beschluss der Mitgliederversammlung, die LPG Tierproduktion »Einheit« Schlanstedt aufzulösen und das verbleibende Vermögen
     an die Genossenschaftsmitglieder auszuzahlen, war im Beitrittsgebiet Anfang der 90er Jahre nichts Besonderes, wohl aber der
     von der Mosel, aus Bernkastel-Kues, nach Sachsen-Anhalt gewechselte Insolvenzverwalter. Nicht dass es Friedrich Schmidt die
     ins Harzvorland eingebettete 2000-Seelen-Gemeinde Schlanstedt und ihre Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft besonders
     angetan hätten, sein Interesse war rein beruflicher Natur. Dann aber fand der Anwalt beim Durchblättern der Rechnungsbücher
     DDR-Altkredite über 2,8 Millionen D-Mark. Friedrich Schmidt suchte im Unternehmensbestand nach entsprechenden Gegenwerten
     für ein derart hohes Kreditvolumen, fand aber kaum etwas, das mit den Krediten bezahlt wurde und sich nun, im Zuge des Vollstreckungsverfahrens,
     zu Geld machen ließe. Bei seinen Nachforschungen fand er heraus, dass es sich nicht um Kredite im marktwirtschaftlichen Sinne
     handelte, diese Schulden |55| waren untrennbar mit dem politischen System der DDR verbunden und in einer eigentumsorientierten Wirtschaft undenkbar. Zu
     all dem verlangten die inzwischen vom Bundesfinanzministerium an westdeutsche Geldhäuser verkauften früheren DDR-Staatsbanken
     nicht mehr den ursprünglich vereinbarten Zinssatz von 0,5 Prozent, sondern stellten die Kredite durch einseitige Erklärung
     auf marktübliche Zinsen von damals mehr als 10 Prozent um. Friedrich Schmidt, ein eigenwilliger Mann mit einem ausgeprägten
     Gerechtigkeitsempfinden, lehnte die Bezahlung der Altkredite rundheraus ab und stellte sich damit gegen die bereits in zahllosen
     Fällen praktizierte, durch das Bundesfinanzministerium festgeschriebene Gesetzeslage. Ihn empörte nicht nur, dass die Bundesrepublik
     Deutschland mit der Übernahme der sozialistischen Schulden die Wirtschaftspolitik der DDR fortführte, ihn verbitterte geradezu,
     dass die Banken, denen diese Altkredite ohne eigenes Zutun in die Hände gefallen waren und die, weil für Ausfälle die Bundesregierung
     haftete, keinerlei Risiken trugen, auch noch immense Zinsen verlangten. Der Anwalt prozessierte durch alle Instanzen und wandte
     sich Ende 1993 an den Bundesgerichtshof. Als auch der Bundesgerichtshof LPG-Altschulden für rechtmäßig erklärte, war Friedrich
     Schmidt am Ende. Allein kam er in der Altschuldenfrage nicht weiter.

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Der Präzedenzfall
    Von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs bis zur Verfassungsbeschwerde bleibt dem Beschwerdeführer eine Frist von vier
     Wochen. In dieser Zeit muss er seine Einwände formulieren und dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Diese vier Wochen über
     den Jahreswechsel 1993/94 werden Karl Albrecht Schachtschneider immer in Erinnerung bleiben. Es war Weihnachten, er hatte
     sich auf ein paar geruhsame Tage im Kreise der Familie gefreut, stattdessen brütete er über dem Beschwerdetext. »Meine Frau
     war nicht begeistert.« Doch ihn hatte der Ehrgeiz

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