Abbau Ost
der Aufhebung des Privateigentums und der Schaffung von Volkseigentum oder gesamtgesellschaftlichem Eigentum an Produktionsmitteln
konnte es keine Kredite im eigentlichen Sinne |58| mehr geben. Unternehmerische Freiheit, also auch die Haftung für Fehlentscheidungen bis zum Risiko einer Vollstreckung, setzt
privates Eigentum voraus. »Die planbestimmte Zwangsverschuldung in der DDR«, argumentierte Karl Albrecht Schachtschneider,
»ließ aber den sozialistischen Wirtschaftseinheiten keine unternehmerische Entscheidung, sodass ein Essentiale bundesrechtlicher
Kreditverbindlichkeit fehlte, nämlich die selbst verantwortete, eigentumshafte Eingehung der Schuld. Eigenmächtige Investitionen
sollten im Interesse der Plandurchsetzung gerade unterbunden werden. Systembestimmend ist auch die Insolvenzhaftigkeit der
Verbindlichkeiten nach bundesdeutschem Recht, welche das sozialistische Kreditwesen der DDR für sozialistisches Eigentum,
wie auch das genossenschaftliche, nicht kannte. Die Betriebe in der DDR waren prinzipiell und weit überwiegend sozialistisches
Eigentum und konnten aufgrund ihres quasi-staatlichen Charakters nicht wegen Insolvenz oder Überschuldung in Konkurs geraten.
Derartiges wäre planwidrig und damit in der DDR systemwidrig gewesen. Jetzt aber sollen die Unternehmen so behandelt werden,
als seien sie, genauer ihre Vorgänger, in der DDR (selbstverantwortliche) Unternehmer gewesen.«
Rechtlich betrachtet waren die sozialistischen Kreditnehmer noch nicht einmal die Eigentümer der Kredite, die sie nun zurückzahlen
sollten. »Der Sache nach waren die sozialistischen Schulden Insichverbindlichkeiten, weil wegen ihrer Unselbstständigkeit
Gläubiger und Schuldner im Volkseigentum wirtschaftliche Identität hatten. Im Rechtssinne gab es weder Gläubiger noch Schuldner
und damit auch keine kreditären Vertragsverhältnisse. Der Systemwechsel hat somit den Altschulden auch aus rechtstheoretischem
Grunde den Charakter von Schulden im Rechtssinne erst verschafft.«
Durch die deutsche Einigung waren die sozialistischen Schulden oder Insichverbindlichkeiten auf den Bund übergegangen, der
diese Altkredite ebenso wenig eintreiben konnte wie seinerzeit die dem Ministerrat unterstehenden DDR-Staatsbanken. Erst der
Verkauf der Staatsbanken an westdeutsche, privatrechtlich organisierte Geldhäuser ermöglichte den Zwangsübergang zu |59| marktwirtschaftlichen Kreditverhältnissen und die Zinsanpassung. »Die Verfassung« schrieb Karl Albrecht Schachtschneider zu
dieser Ungeheuerlichkeit, »schützt den Bürger auch vor einem Gläubigerwechsel vom Staat auf eine private Bank, wenn der Charakter
der Forderung dadurch geändert wird. Der Staat darf Forderungen nicht an Private übertragen, die er selbst aus politischen,
ja sittlichen Gründen nicht eintreiben könnte. Es ist ein Unterschied, ob der Bund Forderungen gegen landwirtschaftliche Unternehmen
durchsetzt und diese dadurch in den Ruin treibt oder ob das eine private Bank macht. Die Maßnahme, gewissermaßen die Privatisierung
der staatlichen Forderungen, ist mit der Eigentumsgarantie nicht zu vereinbaren, die das Vermögen davor schützt, Forderungen
ausgesetzt zu werden, deren Eintreibung der Schuldner nicht befürchten musste, weil der Gläubiger der Staat war, der Staat,
der aus dem Sozialprinzip zur Schonung, jedenfalls zum Anstand, verpflichtet ist. Mit der Privatisierung der Forderungen versucht
der Bund, sich seiner Grundrechtsverpflichtung zu entziehen.«
Am 8. April 1997, mehr als drei Jahre nach dem Abgabetermin für die Verfassungsbeschwerde, teilte das Bundesverfassungsgericht
seine Entscheidung mit. Die sich durch 50 eng bedruckte Seiten ziehenden juristischen Spitzfindigkeiten ließen sich letztlich
in einem Satz zusammenfassen. »Der Umstand«, hieß es dort, »dass der Einigungsgesetzgeber alle LPG ohne Rücksicht auf die
unterschiedlichen Ursachen und die unterschiedliche Höhe der Altschulden, die nicht oder nicht nur von den LPG zu verantworten
waren, an ihren jeweiligen Altschulden festgehalten hat, begründet keinen Verfassungsverstoß.«
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Insichverbindlichkeiten einer geschlossenen Staatsverwaltungswirtschaft
Karl Albrecht Schachtschneider hat die Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht nie ganz verwunden. Er wandte sich neuen
Aufgaben zu, aber das Fortbestehen einer rechtswidrigen, für das |60| wiedervereinigte Deutschland ruinösen Altschuldenregelung hat den
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