Abbau Ost
dem nicht sozialistischen Wirtschaftsgebiet betrachtet, die ostdeutsche Volkswirtschaft produzierte
aber in erster Linie für den Binnenmarkt und die im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) zusammengeschlossenen osteuropäischen
Staaten. Wenn später davon die Rede war, dass mit Einführung der D-Mark eine Währungsaufwertung von 400 bis 500 Prozent und
eine Aufwertung der rein zahlenmäßig halbierten Schulden von 200 bis 250 Prozent einherging, so bezogen sich die Angaben auf
das vergleichsweise kleine Handelsvolumen mit dem Westen. Die Berechnungen des Ostberliner Außenhandelsministeriums verdeutlichten
zwar den Produktivitätsrückstand gegenüber |50| den westlichen Industrienationen, trafen aber keine Aussagen über die Binnenkaufkraft der Ostmark. Als Zahlungsmittel, mit
dem die ostdeutsche Bevölkerung ihren Lebensunterhalt bestritt, hatte die D-Mark keineswegs eine um 400 bis 500 Prozent erhöhte
Kaufkraft. Nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes, die im Hinblick auf die Währungsumstellung durchgeführt worden
waren, lag die Binnenkaufkraft der DDR-Mark sogar etwas höher als die der D-Mark und entsprach – gemessen an den Bedürfnissen
einer von den Statistikern ermittelten Durchschnittsfamilie – dem Gegenwert von 1,08 DM. Dieser Wert war stark vom Verbrauch
abhängig. Bei Haushalten mit Kindern und bei Rentnern lag die Binnenkaufkraft der DDR-Mark sogar um bis zu 50 Prozent über
der D-Mark. Nicht zu unterschätzen war, dass die Ostmark über den gesamten Zeitraum der deutschen Teilung eine höhere Geldwertstabilität
als die Westmark besaß.
Die D-Mark-Umstellung verschaffte den DDR-Bürgern Zugang zur westlichen Warenwelt, brachte aber zugleich eine Abwertung ihrer
Ersparnisse mit sich und verschlechterte die Einkommenssituation eines erheblichen Teils der ostdeutschen Bevölkerung. Alle
Konten, auch Schulden, wurden eins zu zwei umgestellt, eine Westmark für zwei Ostmark. Eine Ausnahme machten Privatkonten.
Dort galten vom Alter des Kontoinhabers abhängige Freibeträge von 2 000, 4 000 und 6 000 Ostmark, die eins zu eins umgetauscht
wurden. Die Höhe der Freibeträge war so gewählt, dass die Guthaben der DDR-Bevölkerung in ihrer Gesamtheit im Verhältnis von
1,5:1 abgewertet wurden. Das private Geldvermögen reduzierte sich den Angaben der Bundesbank zufolge von 193,4 Milliarden
DDR-Mark auf nur noch 129,1 Milliarden DM. Damit sank das statistische Pro-Kopf-Guthaben der Noch-DDR-Bürger von rund 11 400
DDR-Mark auf 7 600 D-Mark. Diese unerfreuliche Tatsache wurde von den DDR-Bürgern allgemein akzeptiert. Die Hoffnung auf dauerhaft
höhere Einkommen, die in Aussicht gestellte Angleichung an westdeutsche Lebensverhältnisse, die neue Konsumfreiheit und das
ungewohnte Warenangebot ließen die D-Mark-Umstellung, zumindest aus Sicht der Privathaushalte, als ein überaus erfreuliches
Ereignis erscheinen. |51| Das über mehr als vier Jahrzehnte eigenständige, nun aber monetär an die Bundesrepublik gekoppelte Millionenvolk erkannte
erst nach und nach die Vorzüge zu DDR-Zeiten gewährter Subventionen und musste bald feststellen, wie hohe Kosten für die Miete,
Heizung, Strom, Wasser, Abwasser und Abfallentsorgung, für die Kinderbetreuung, für Bahnreisen und den öffentlichen Personennahverkehr,
für Musikschulen, Theater, Museen, Schwimmbäder und andere öffentliche Einrichtungen das Familienbudget belasten. Zunächst
jedoch, zumindest in den ersten Monaten nach der Währungsumstellung, besaß die D-Mark in Ostdeutschland eine höhere Kaufkraft
als im Westen, weil die Subventionen von Mieten und Gebühren noch einige Zeit fortbestanden. Der Finanzwissenschaftler Ulrich
Busch, früher in leitender Stellung bei der Staatsbank der DDR, untersuchte in seinem Aufsatz ›Die Währungsunion. Politische
Weichenstellung für einen ökonomischen Fehlstart‹ die Einkommensentwicklung in Ostdeutschland seit der Währungsumstellung.
»1991«, heißt es in der von Hannes Bahrmann und dem Verleger Christoph Links im Jahre 2005 herausgegebenen Textsammlung, »stiegen
die Lebenshaltungskosten in Ostdeutschland um 26,5 Prozent. Besonders drastisch stiegen die zuvor hoch subventionierten Preise
und Tarife für Energie, Verkehrsleistungen und Wohnen. 1992 erhöhten sich die administrierten Preise um 66,1 Prozent, 1993
um 35,7 Prozent. Damit war der Subventionsabbau im Wesentlichen vollzogen. Über die ganze Periode hinweg, vom
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