Abbau Ost
vorantreiben.« Ähnlich gut stand es um die mit einer 2 bewerteten Betriebe:
»Unternehmen erreicht die Rentabilitätsschwelle voraussichtlich bald.« Nach den Statistiken der Treuhandanstalt fiel etwa
jedes zehnte Unternehmen in eine dieser beiden Kategorien. Bei der Note 6, »Unternehmen nicht sanierungsfähig«, stellte sich
lediglich die Frage: Liquidation oder Gesamtvollstreckung? Ebenso fiel die Note 5, »Sanierung erscheint zweifelhaft«, mit
in die untere Kategorie. Als besonders schwierig erwiesen sich die Einstufungen 3 und 4, wobei besonders die Note 3 ein unerfreuliches
Mittelmaß kennzeichnete, weil sich das so bewertete Unternehmen in einem Schwebezustand hielt und nicht mit Sicherheit gesagt
werden konnte, ob es mehr zu der einen oder der anderen Seite tendierte. Die Entscheidungshilfen für die 3 waren deshalb besonders
fordernd. »Verbindliche Kooperationspartnerschaft muss vorgewiesen werden«, |98| hieß es in den Schulungsunterlagen für die Treuhandmitarbeiter, »sonst Umstufung in die Gruppe 5 oder 6.« Zwei Unterpunkte
gaben eine weitere Entscheidungshilfe für derlei unsichere, mit 3 bewertete Kandidaten. »Geringer Liquiditätsbedarf: Partner
muss innerhalb eines Jahres gefunden sein. Hoher Liquiditätsbedarf: Nachweis eines Partners innerhalb einer kurzen Frist erforderlich.«
Konnte der Partner nicht »innerhalb eines Jahres« beziehungsweise »innerhalb einer kurzen Frist« herbeigeschafft werden, war
die Geduld der Treuhandanstalt am Ende, das Unternehmen wurde liquidiert.
Zu Beginn des Jahres 1991 wurden die Treuhanddirektoren zu einer Schulung nach Berlin gerufen. Daraufhin stellte jedes der
betreffenden Direktorate eine sogenannte Task-Force aus anstaltseigenen Mitarbeitern, Unternehmensberatern und Wirtschaftsprüfern
zusammen. Im Regelfall suchten immer ein Unternehmensberater und ein Wirtschaftsprüfer gemeinsam das betreffende Unternehmen
auf und verschafften sich einen groben Überblick. Die eigentliche Benotung aber erfolgte am Behördenschreibtisch und in Sitzungsrunden.
Im Wochenrhythmus wurde in allen Direktoraten der sogenannte Lenkungsausschuss zusammengerufen. Diese Runde setzte mehrere
Unternehmen auf die Tagesordnung und ließ sich vom Task-Force-Gespann schildern, wie die Besuchstermine verlaufen waren. Unter
dem Eindruck dieser Schilderung wurden die Einstufungen festgelegt, die unwiderruflich über die Zukunftschancen der Unternehmen
und seiner Belegschaften entschieden. Binnen kurzer Zeit mussten mehrere Tausend Treuhandfirmen benotet werden, wobei immer
nur 1 und 6 die klare, von den Treuhändern gewünschte Aussage trafen. Es ging immer um Sein oder Nichtsein, Überleben oder
Abwickeln. Zwischen 2 und 5 bewertete Unternehmen konnten allenfalls ein bisschen Zeit schinden, dann stiegen sie entweder
auf oder kamen ins Rutschen. Mitstreiter an dem Benotungswettbewerb sollten später, bei Befragungen im Treuhand-Untersuchungsausschuss
zu Protokoll geben, sie hätten »um das Schicksal jedes einzelnen Unternehmens gerungen«.
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|99| Ablasshandel in Wittenberg
Gott erlässt überhaupt keinem die Schuld, ohne ihn zugleich demütig
zu unterwerfen.
Martin Luther
Lothar Bley gehörte zu den wenigen handverlesenen DDR-Bürgern, die etwas von der Welt zu sehen bekamen. Er war NSW-Reisekader
(NSW stand für nichtsozialistisches Wirtschaftslager) und durfte ungehindert ins kapitalistische Ausland reisen, ein Privileg,
um das ihn Millionen Landsleute glühend beneideten. Bereits 1967, damals 27 Jahre alt, fuhr er zum ersten Mal im Auftrag des
Staates nach Ägypten. Dort handelte er mit Landtechnik, vornehmlich Traktoren, Mähdreschern, Bodenbearbeitungsgeräten, und
verschaffte der DDR begehrte Deviseneinnahmen. Später lebte er mit seiner Familie einige Jahre als DDR-Außenhandelsposten
in Indien, und als er danach wieder nach Ägypten zurückkehrte, leitete er in Kairo das Technisch Kommerzielle Büro, eine Außenstelle
des Außenhandelsministeriums. Dort drehte sich alles um Getreidemühlen, vor allem aber um Reis, um das Schälen, Schleifen,
Polieren und Sortieren von Reiskörnern. Die DDR war weltweit führend in den Verarbeitungstechnologien von Getreide und Hülsenfrüchten,
neben Reis, Roggen und Weizen auch in der Verarbeitung von Erbsen, Bohnen, Linsen und Sonnenblumen.
Nach 13 Jahren Auslandseinsatz, das war 1980, wurde ihm ein neues Aufgabengebiet angetragen. Den Ausschlag für die
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