Abbau Ost
handlungsfähige Regierung hervorgebracht
hat (permanente Blockademöglichkeit des Bundesrates), hat einen Konstruktionsfehler, der erst in Situationen großer Herausforderungen
offen zutage tritt.« Wie ermutigend wäre es gewesen, wenn derlei Feststellungen schon 1990 getroffen und von der westdeutschen
Bevölkerung mitgetragen worden wären. Durch die Erfahrungen mit zwei deutschen Gesellschaftsentwürfen sind die ehemaligen
DDR-Bürger ihrer Zeit voraus. Ihr Anspruch an ein wirklich demokratisches und kinderfreundliches Gemeinwesen, an die Gleichstellung
der Frau, an eine unbürokratische und möglichst gerechte Gesellschaft und an ein zukunftsfähiges Bildungssystem wird das wiedervereinigte
Deutschland durch die nächsten Jahrzehnte begleiten.
[ Menü ]
|209| Stiftung Vereinigungsunrecht
Wer in der DDR gelebt hat und sein Leben mit den offiziellen Darstellungen vergleicht, findet sich darin kaum wieder. Es ist
schwer geworden, beinahe unmöglich, diesem untergegangenen Gemeinwesen ein Denkmal zu setzen, vor das man mit seinen Kindern
und Enkeln treten, einen Moment innehalten und sich seiner Herkunft vergewissern möchte. Inzwischen wurden nahezu alle Spuren
beseitigt. Allenfalls die Stasigefängnisse werden erhalten und der Öffentlichkeit präsentiert. Das offizielle Bild zeigt Mauer
und Stacheldraht. Westdeutsche Historiker reisen durch Ostdeutschland und erklären ehemaligen DDR-Bürgern die DDR.
Die DDR war anders, als es Politiker und in der Bundesrepublik sozialisierte Historiker darstellen. Das wiedervereinigte Deutschland
erstickt an seinen Lügen und Halbwahrheiten. Wer entwirft ein ausgewogenes, wirklich authentisches Bild von der DDR? Wer dokumentiert
die Abwicklung der ostdeutschen Industrienation und nennt die Verantwortlichen beim Namen? Wer zeigt der Welt, wie die Ostdeutschen
von den eigenen Landsleuten über den Tisch gezogen wurden? Wer macht deutlich, dass die Ursachen für das deutsche Problem
nicht in der Wiedervereinigung liegen, sondern auf Strukturschwächen zurückgehen, an denen bereits die alte Bundesrepublik
krankte und die nun auch Ostdeutschland belasten? Eine Stiftung, die Vereinigungsunrecht dokumentiert und sich für eine angemessene
geschichtliche Einordnung der DDR und ihrer Bürger starkmacht, kann das leisten. Noch gibt es neun Millionen ehemalige DDR-Bürger.
Gäbe jeder nur 100 Euro auf die eigene Identität, auf Stolz und Selbstwertgefühl, summierte sich das Stiftungskapital auf
900 Millionen Euro.
[ Menü ]
|211| TEIL DREI
Eine kurze Geschichte vom Ende der DDR
[ Menü ]
Die Häber-Protokolle
Um mich herum trat sozusagen Eiszeit ein, eine andere Art von
Eiszeit, es kühlte sich ab das Klima. Ich war auf einmal in einer
mir nicht erklärbaren Situation. Und da bin ich zu Achim Herrmann
gegangen, in Wandlitz. Seiner Frau Gisela hab ich ein paar
Krimis mitgebracht, weil ich wusste, die liest gerne Krimis, um einen
Vorwand zu haben, da hinzugehen. Und da hab ich den Achim gefragt
, sag mal, Achim, wir sind doch Freunde, sag mir mal, was ist
los hier, was mache ich falsch? Ich habe den Eindruck, ich mache
alles falsch, es gelingt überhaupt nichts mehr. Und da war die kaltschnäuzige
Antwort, Freundschaften gibt es hier nicht mehr. Wenn
du ein Problem hast, hier wohnt der Generalsekretär, melde dich
bei ihm an.
Herbert Häber, ehemaliges Politbüromitglied, zuständig für Beziehungen in das Nicht-Sozialistische Wirtschaftsgebiet (NSW),
über seine Erinnerungen an die letzten Jahre der DDR
Am 18. August 1985 wurde Herbert Häber ins Ostberliner Regierungskrankenhaus Berlin-Buch eingeliefert. Er litt unter schweren
Depressionen und stand unter dem Einfluss von Psychopharmaka. Sieben Monate lang blieb der SED-Funktionär unter ärztlicher
Aufsicht. Gleich zu Beginn des Krankenhausaufenthalts legte ihm Erich Honecker den Rücktritt von allen seinen Funktionen nahe.
Häber stimmte am Krankenbett zu und unterschrieb ein bereits vorgefertigtes Rücktrittsersuchen, offiziell »aus gesundheitlichen
Gründen«. Anderthalb Jahrzehnte später sagte Herbert Häber über seine letzten Jahre in der DDR, zu diesem Zeitpunkt 70 Jahre
alt: »Ich bin froh, dass ich das alles überlebt habe.« Dabei war es |212| Erich Honecker selbst, der ihn 1984 ins Politbüro, in den engsten Kreis der Parteiführung holte. Schon seit 1973 leitete Herbert
Häber die Abteilung Internationale Politik und Wirtschaft beim Zentralkomitee (ZK) der
Weitere Kostenlose Bücher