Abbau Ost
Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands
(SED). Seit Ende der 70er Jahre stellte er persönliche Kontakte zu nahezu allen einflussreichen westdeutschen Politikern her,
und das im Auftrag von Erich Honecker. Jahre später, auf der Gerichtsverhandlung gegen Herbert Häber wegen seiner Mitverantwortung
für das DDR-Grenzregime – die Anklage lautete auf »Totschlag durch Unterlassung« –, sollte sich Hans-Otto Bräutigam, von 1983
bis 1988 Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin, an den DDR-Politiker als einen »sehr offenen Gesprächspartner,
mit viel Witz und Ironie« erinnern. Allein durch diese Eigenschaften schillerte Herbert Häber unter den steifen, bis obenhin
zugeknöpften SED-Funktionären wie ein bunter Vogel. Aber auch sonst gab der weltoffene Funktionär das in jeder Hinsicht außergewöhnlichste
Zwischenspiel im Politbüro. Mit 54 Jahren war er das jüngste Mitglied in der Altherrenriege und zugleich das mit der kürzesten
Amtszeit. Lediglich 14 Monate blieb Häber in seinem Amt, ehe ein Nervenzusammenbruch seiner politischen Karriere ein Ende
setzte. Und so steht seine Person wie kaum eine andere für die Konflikte des von Anfang an zum Scheitern verurteilten zweiten
deutschen Staates und für ein allumfassendes Geständnis nach Jahrzehnten der Gehirnwäsche, wirtschaftlicher Zwangsjacke und
des besonders schmerzhaften, virtuos aufgeführten Spitzentanzes auf sowjetischen Bajonetten. »Die DDR«, sagte Herbert Häber
am 19. Februar 2000 auf einer Veranstaltung des »Ost-West-Forums«, auf dem nordwestlich von Dresden liegenden Gut Gödelitz,
»ging in den 50er Jahren von der Annahme aus, dass sie von einem wirtschaftlichen Aufschwung der UdSSR würde profitieren und
im Wettbewerb mit der Bundesrepublik bestehen können. Sie nahm an, dass die UdSSR ihr im Verhältnis zur Bundesrepublik eigene
Interessen und eigene Ziele zugestehen würde. Die SED glaubte an ein Bündnis mit der SPD gegen die starken Konservativen im
Westen. All das trat nicht ein.« Stattdessen wachte die Sowjetunion |213| eifersüchtig über jeden Versuch einer deutsch-deutschen Annäherung. Moskau hätte Ostberlin, bei allzu offensichtlichen Ambitionen
gegenüber Bonn, sofort eine Szene gemacht. »Wir waren«, erklärte Herbert Häber auf dem Ost-West-Forum, »bis ins Detail abhängig
von unserem Bündnispartner, der Sowjetunion. Und die sah in uns nichts anderes als ein Verhandlungsobjekt und eine Militärbasis.«
Die Probleme begannen schon während der sowjetischen Besatzungszeit und setzten sich nach Gründung der DDR fort. Anders als
in den drei westlichen Besatzungszonen, wo der Marshallplan den wirtschaftlichen Aufschwung einleitete, zerstörten die unvernünftig
hohen Reparationsforderungen die Hoffnungen auf einen Neuanfang. Mehr als 1900 Betriebe und 13 500 Kilometer Bahngleise wurden
demontiert, auf Lastwagen und Züge geladen und Richtung Sowjetunion verfrachtet. »Bei uns demontierten die Sowjets noch Gleisanlagen,
während im Westen bereits elektrifiziert wurde.« Schon in dieser Zeit, war Herbert Häber überzeugt, sei der DDR ökonomisch
das Rückgrat gebrochen worden. »Die DDR«, resümierte der SED-Funktionär am Ende seines Vortrags, »hätte nur in einer deutschen
Konföderation bestehen können.«
Mehrere, im wiedervereinigten Deutschland erschienene Publikationen bestätigen, dass der Erkenntnisstand im Politbüro weiter
fortgeschritten war, als die DDR-Bevölkerung dies ihren Politgrößen zutraute. Beispiele sind der frühere stellvertretende
Leiter der Staatlichen Plankommission der DDR, Siegfried Wenzel, und sein 2001 erschienenes Buch ›Was war die DDR wert? Und
wo ist dieser Wert geblieben? Versuch einer Abschlussbilanz‹. Auch die Veröffentlichung von Jürgen Nitz, zu DDR-Zeiten Mitarbeiter
im Ostberliner Institut für Internationale Politik und Wirtschaft, ›Unterhändler zwischen Berlin und Bonn – Zur Geschichte
der deutsch-deutschen Geheimdiplomatie in den 80er Jahren‹, Berlin 2001, kommt zu ganz ähnlichen Aussagen. Die DDR-Führung
suchte nach wirtschaftlichen Perspektiven jenseits ihres Bündnispartners, der Sowjetunion, und die konnten, schon rein topografisch,
nur in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Westdeutschland liegen.
|214| Die ostdeutschen Parteifunktionäre blickten hoffnungsvoll Richtung Westen, und das in geschlossener Einheitsfront hinter ihrem
Generalsekretär, den im Saarland
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