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Abbau Ost

Titel: Abbau Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Baale
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geborenen und aufgewachsenen Erich Honecker. Der soll, offiziell der stramme, in der Moskauer
     Schule gedrillte Parteisoldat, hinter vorgehaltener Hand ganz andere Töne angeschlagen haben. Vertraute wollten gehört haben,
     wie er angesichts der von Moskau ausgehenden Zwänge etwas von »unerhört« und »unerträglicher Einmischung« genuschelt habe.
     Herbert Häber selbst erinnerte sich, aus dem Munde seines Generalsekretärs die Worte: »Die Sowjetunion destabilisiert die
     DDR«, gehört zu haben. Protokolliert wurden solche Aussagen nicht. Verbürgt ist hingegen, dass Herbert Häber sehr oft in die
     Bundesrepublik reiste und, wieder zu Hause, häufig Westbesuch empfing. Häber konzentrierte sich dabei – entsprechend den Anweisungen
     Honeckers – vor allem auf CDU-Größen, denn zwischen der ostdeutschen SED und der westdeutschen SPD war das Eis schon in den
     70er Jahren gebrochen. Die Konservativen blieben zwar in der Öffentlichkeit, aus Rücksicht auf die einflussreichen Hinterbliebenenverbände,
     auf Konfrontationskurs und lehnten jede Annäherung an den SED-Staat ab, doch jenseits öffentlicher Verlautbarungen suchten
     auch sie die Nähe der SED-Funktionäre. Auf Häbers Besuchsliste standen – um nur einige zu nennen – Hans-Otto Bräutigam, Richard
     von Weizsäcker, Volker Rühe, Wolfgang Schäuble, Kurt Biedenkopf, Walther Leisler-Kiep, Norbert Blüm und natürlich Franz Josef
     Strauß. Aber auch Martin Bangemann (FDP), Egon Bahr und Franz Müntefering (beide SPD) und Otto Schily (damals noch bei den
     Grünen) plauderten ungezwungen mit dem SED-Funktionär. Richard von Weizsäcker, nur als Beispiel, kam 1980 allein, in einem
     russischen Lada, zu einem geheimen Treffpunkt in Honeckers Jagdgebiet, in die nordöstlich von Berlin gelegene Schorfheide.
     Dort sprach er mit Herbert Häber ganz freimütig über seinen Parteifreund Helmut Kohl, von dem er meinte, dass er niemals Kanzler
     werde und dafür auch nicht die Fähigkeiten besitze. »Kohl«, offenbarte von Weizsäcker dem SED-Politiker, »überspielt seine
     Schwäche durch grobe Worte und scharfe Formulierungen.«
    |215| Diese und noch andere Glanzpunkte aus dem Niemandsland deutsch-deutscher Beziehungen finden sich in ›Die Häber-Protokolle.
     Schlaglichter der SED-Westpolitik 1973–1985‹, Berlin 1999. Nach jahrelangen Recherchen haben die beiden Berliner Historiker
     Detlef Nakath und Gerd-Rüdiger Stephan die Gesprächsnotizen zutage gefördert, mit Herbert Häber selbst gesprochen und ihre
     Erkenntnisse in einem Buch zusammengefasst. Zwar fanden die Treffen in einer konspirativen Atmosphäre statt, niemand führte
     offiziell Protokoll, aber natürlich musste Häber Bericht erstatten. Nach jedem Treffen schrieb er für Honecker ein ausführliches
     Protokoll, und auch das Ministerium für Staatssicherheit erhielt Kenntnis über den Gesprächsverlauf. Öffentlich ist das alles
     überhaupt nur geworden, weil das SED-Archiv nach der deutschen Einigung dem Bundesarchiv, die offizielle Bezeichnung lautet
     »Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv«, zugeschlagen wurde und alle aus der DDR stammenden
     Akten eingesehen werden können. Auch die Dokumente der Staatssicherheit, archiviert bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen
     des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), sind für die Forschung freigegeben.
     Dagegen besteht für die westdeutsche Seite, für die in Bonn angelegten Archive, eine 30 Jahre dauernde Sperrfrist. Die Historiker
     sprechen von einer »archivalischen Asymmetrie«, und fordern aus Gründen der Gleichbehandlung auch die Öffnung der westdeutschen
     Archive, allerdings ohne Erfolg.
    Häber selbst war überzeugt, der sowjetische Geheimdienst habe ihm das Genick gebrochen. »Als ich versucht hatte, zu Politikern
     der CDU und SPD eine Vertrauensbasis herzustellen, missfiel das den Scharfmachern aus der Sowjetunion, und deshalb musste
     ich auch 1985 Hals über Kopf verschwinden.« Seiner Version widerspricht, dass zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem halben
     Jahr Michail Gorbatschow im Kreml regierte und durch seine Entspannungspolitik Häbers Bemühungen um eine Ost-West-Annäherung
     sozusagen in den Adelsstand erhob. Honecker wäre es prinzipiell möglich gewesen, an seinem Mann für Westkontakte festzuhalten: |216| Doch der Generalsekretär war äußerst misstrauisch. Er fürchtete Häbers wachsenden Einfluss und

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