Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Abbau Ost

Titel: Abbau Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Baale
Vom Netzwerk:
Wenn
     es aber, warum auch immer, nicht mehr funktioniert, darf eine Frau (jung, weiblich, allein erziehend) nicht dem Armutsrisiko
     anheimfallen und vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden.
    Wirtschaftlich unabhängige Frauen verändern den Mann weit stärker als die gesamte Emanzipationsbewegung. Junge ostdeutsche
     Frauen, das ist dem Einfluss ihrer Mütter geschuldet, wollen auf jeden Fall wirtschaftlich unabhängig sein und stellen dafür
     notfalls ihren Kinderwunsch zurück. Dennoch sind sie eher bereit, Kinder und Beruf miteinander zu verbinden, wenn es sein
     muss auch ohne Mann. Ein im Netz des Ernährers verfangener Mann kann die Vorzüge einer beruflich arrivierten Frau nicht wirklich
     genießen. Aber er jammert lautstark über den im Falle der Scheidung fällig werdenden Versorgungsausgleich. Auch in Ostdeutschland
     wünscht sich mittlerweile eine schnell wachsende Zahl junger Männer sehr wohl eine Familie, aber eine, in der die Frau zu
     Hause bleibt und sich um Kinder und Haushalt kümmert. Viele Männer scheitern an diesem Anspruch. Sie können |203| keine Familie ernähren, und einige können nicht einmal für sich selbst sorgen. Heute bietet allenfalls noch der Staatsdienst
     ein Maß an Sicherheit, dass die Familie ihre Zukunftsplanungen allein auf die Karriere und das Einkommen eines Ehegatten gründen
     kann. Die immer aufregender verlaufenden Erwerbsbiografien in der gewerblichen Wirtschaft und den sogenannten freien Berufen
     erfordern Vater und Mutter gleichermaßen und ein gesellschaftliches Umfeld, das Müttern ein berufliches Fortkommen ermöglicht
     und sie nicht an den Herd fesselt. Was die Gleichstellung der Frau betrifft, ist das wiedervereinigte Deutschland weit hinter
     die Verhältnisse in der DDR zurückgefallen. Westdeutschland hat dieser uneingeschränkt positiven, in den 50er Jahren in Ostdeutschland
     begonnenen und bis 1989 fortgeführten Entwicklung mit dem Zeitpunkt der Vereinigung ein Ende gesetzt. Frauen, die sich in
     der DDR als »berufstätige Mütter« erleben durften, empfinden den Rückfall in die altdeutschen Zustände besonders schmerzlich.
     Ihre Töchter sind heute einem gesellschaftlichen Druck ausgesetzt, dem sie sich selbst nie stellen mussten.

[ Menü ]
Anspruch und Wirklichkeit
    »Erst einmal«, sagt Thomas Gensicke, »wollte ich die üblichen Angriffe auf die angebliche Ossi-Mentalität zurückweisen. Dieses
     Bild von den jammernden, durch die DDR-Gesellschaft deformierten Ossis hält keiner wissenschaftlichen Betrachtung stand.«
     Für seine selbst unter Berufskollegen immer noch sehr ungewöhnlichen Thesen hatte sich der Philosoph und Sozialwissenschaftler
     ein denkbar schwieriges Publikum ausgesucht, jenes konservative, bürgerliche Milieu, wie es auf den Diskussionsforen der Akademie
     für politische Bildung Tutzing anzutreffen ist. »Mindestens zwei Drittel des Publikums«, erinnert sich Thomas Gensicke an
     seinen Vortrag am 18. Februar 2005, »stammte aus dem konservativ geprägten Bildungsbürgertum. Nur ein kleiner Teil zeigte
     sich überhaupt aufgeschlossen.« Zu seinen Vorrednern gehörte Joachim Gauck, der frühere Rostocker Pastor und langjährige Bundesbeauftragte |204| für die Unterlagen der Staatssicherheit, der für seine Lehrsätze von den unterdrückten, durch den Überwachungsstaat geprägten
     ostdeutschen Untertanen viel Beifall erhielt. Und so stellte Thomas Gensicke an den Anfang seines Vortrages den eigenen Lebenslauf:
     Geboren 1962 in Magdeburg, 1978 Abschluss der zehnjährigen, Polytechnischen Oberschule, im Anschluss Berufsausbildung mit
     Abitur, Facharbeiter für Maschinenbau, Unteroffizier bei der Nationalen Volksarmee, dann Studium der marxistisch-leninistischen
     Philosophie in Leipzig und nach dem Abschluss, ab September 1989, die Anstellung an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften
     des ZK der SED.
    Thomas Gensicke hatte zu DDR-Zeiten eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Nach der Wende und der Auflösung der Akademie wechselte
     er von 1990 bis 1991 an das Berliner Institut für sozialwissenschaftliche Studien und ging von dort für zehn Jahre an die
     Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Dort schrieb er seine Promotion zum Thema ›Die neuen Bundesbürger. Eine Transformation
     ohne Integration‹, begann 2001 als Projektmanager bei TNS Infratest in München, heiratete zwei Jahre später eine Münchener
     Kollegin und ist seit 2004 Bereichsleiter »Staat und Bürger« beim Münchener

Weitere Kostenlose Bücher