Abbau Ost
neidete ihm seine Beliebtheit
bei westdeutschen Politikern. Die Staatssicherheit fertigte ein verleumderisches Dossier über ihn an und isolierte ihn zunehmend.
Nach dem Nervenzusammenbruch und der Entlassung aus dem Krankenhaus arbeitete Herbert Häber offiziell in der Ostberliner Akademie
für Gesellschaftswissenschaften. Er hatte dort ein eigenes Büro, aber keine rechte Aufgabe. Bis zum Ende der DDR blieb es
still um den Mann. Beruflich bekam Häber keinen Fuß mehr auf den Boden. Aber selbst im wiedervereinigten Deutschland war sein
Leidensweg nicht zu Ende. Am 11. Mai 2004, nach jahrelangen Gerichtsverfahren, befand ihn die 40. Große Strafkammer des Landgerichts
Berlin-Moabit schuldig »der Anstiftung zum dreifachen Mord«. In der Urteilsbegründung hieß es, der Angeklagte sei als Mitglied
des Politbüros des Zentralkomitees der SED (mit)verantwortlich für den Tod dreier an der früheren innerdeutschen Grenze erschossenen
Menschen. Als Mitglied des mächtigsten Gremiums der DDR hätte er die Möglichkeit und die Pflicht gehabt, das Grenzregime zu
humanisieren. Dass er dies unterlassen oder nicht in erforderlichem Maße verfolgt habe, sei »quasi ursächlich« für die Todesschüsse
an der Mauer. In Herbert Häbers Fall hatte das Gericht »von der Verhängung einer Strafe abgesehen, da sich der Angeklagte
bereits während der Zugehörigkeit zur politischen Führung der ehemaligen DDR für eine Abmilderung des Grenzregimes eingesetzt
hat. Zudem hat das Gericht berücksichtigt, dass die Tat bereits sehr lange zurückliegt und der Angeklagte durch die lange
Dauer des Verfahrens in besonderem Maße belastet worden ist.«
So ist Häbers Schicksal exemplarisch für die Verirrungen der deutsch-deutschen Geschichte. Zu DDR-Zeiten wurde er verfolgt
und bestraft, für das, was er getan hatte, und zwei Jahrzehnte später verurteilte ihn ein Gericht im wiedervereinigten Deutschland
aus praktisch denselben Gründen, dieses Mal für das, was er angeblich nicht getan hatte.
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|217| Forschung für den Tag X
Heinrich Windelen, Jahrgang 1921, ist ein kalter Krieger von echtem Schrot und Korn. »Ich habe nie daran gezweifelt«, sagt
er im scharfen Tonfall des Mannes, der seinen Prinzipien zeitlebens treu geblieben ist, »dass die DDR zusammenbrechen wird.«
Während seiner gesamten, durch mehr als ein halbes Jahrhundert führenden Parteikarriere, hat er dieses Ziel nie aus den Augen
verloren. In all diesen Jahren durchlebte er eine wechselvolle Geschichte, doch erst der Zusammenbruch der DDR markiert so
etwas wie die Vollendung seines Lebenswerks: »Unsere Politik hat zum Ziel geführt. Wir haben am Ende recht behalten.«
Heinrich Windelen blickt auf eine der großartigsten, politischen Nachkriegskarrieren im geteilten Deutschland zurück: Er ist
1946 in die CDU eingetreten und nach fast sechs Jahrzehnten in hohen politischen Ämtern immer noch Ehrenvorsitzender der CDU
Nordrhein-Westfalen. Nach dem Abitur, einem in Breslau, dem heutigen Wroc¬aw, begonnenen Studium, der Einberufung zur Wehrmacht,
Kriegsgefangenschaft und Vertreibung, ließ er sich im nordrhein-westfälischen Warendorf nieder, absolvierte eine kaufmännische
Lehre und arbeitete ab 1949 als Geschäftsführer in einem selbst gegründeten Handelsunternehmen. Am 28. September 1957, nach
verschiedenen politischen Ämtern auf Stadt- und Kreisebene, schaffte er, als Nachrücker für seinen Parteifreund Anton Sabel,
den Sprung in den Deutschen Bundestag. Von da an blieb er bis 1990 Mitglied des Bundestages, 33 Jahre lang, über 9 Legislaturperioden.
Noch in seiner letzten, 1987 beginnenden Wahlperiode, erhielt er in seinem Wahlkreis Warendorf mit 51,7 Prozent der Stimmen
ein Direktmandat. Seine lange Politikerkarriere verhalf ihm zu einer Reihe von Ämtern. In Bonn betätigte er sich zwischen
1977 und 1981 als Vorsitzender des Haushaltsausschusses und wurde schließlich Vizepräsident des Bundestages. Bereits 1969,
unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, bekam er ein Regierungsamt als Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte.
Und dann, im Anschluss an sein Amt als Bundestagsvizepräsident, gehörte er von |218| 1983 bis 1987 noch einmal der Bundesregierung an, dieses Mal im Kabinett von Helmut Kohl als Bundesminister für innerdeutsche
Beziehungen. Heinrich Windelen hatte in der Bundesregierung genau jenes Amt inne, das Herbert Häber für die DDR ausübte –
zwei
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