Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
ihnen zu verbergen.
»Aber ihn in einem großen Fass zu verstecken, ist keine gute Idee«, fuhr John Simon fort. Nun, da er sich dazu durchgerungen hatte, würde er die Angelegenheit auch mit ganzem Sachverstand und Einsatz durchführen.
»Wo soll er sich dann verstecken?«, wollte Rachel wissen.
»In einer Kiste gleich hinter dem Kutschbock«, erklärte der Fassbinder. »Die ist mit ein paar Brettern schnell gezimmert und fällt bei der tiefen Ladefläche des Fuhrwerks gar nicht auf, wenn ich sie erst mit allerlei Fässern und Dauben voll gestellt habe.« Er wandte sich jetzt zum ersten Mal direkt an Melvin Chandler. »Sie werden auch tagsüber in der Kiste bleiben müssen, vielleicht die ganze Wegstrecke, und das bedeutet, dass Sie bei dieser Hitze einen Vorgeschmack vom Fegefeuer erhalten werden, Mister Chandler. Ich hoffe, Sie wissen, worauf Sie sich da einlassen?«
Melvin schluckte und lächelte gequält. »Besser zwei Tage schwitzen, als möglicherweise jahrelang im Gefängnis zu sitzen oder auf die Kohlefelder geschickt zu werden.«
John Simon nickte zustimmend. »Also gut, dann werde ich mich an die Arbeit machen.«
Abby sprang auf. »Ich hole indessen Sarah.«
Melvin wollte erst unbedingt mit, doch das redeten sie ihm schnell aus. »Noch zweimal dieselbe Wegstrecke? Wer weiß, wem Sie da in die Arme laufen«, gab Rachel zu bedenken.
»Nein, Sie müssen hier bleiben, wenn Sie den ganzen Plan nicht gefährden wollen.«
»Aber ich kann Abby doch nicht allein losschicken! Mit all den Betrunkenen auf den Straßen!«
»Ich nehme wieder die stillen Gassen, Mister Chandler. Haben Sie keine Sorge, ich passe schon gut auf mich und Sarah auf. In einer halben Stunde bin ich wieder zurück!«, versicherte Abby und huschte durch die Hintertür in die Nacht hinaus.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Eine Stunde vor Mitternacht, als Abby längst sicher mit Sarah zurückgekehrt war, legte der Fassbinder in der Werkstatt, wo auch das Fuhrwerk stand, den Hammer aus der Hand.
Er hatte hinter dem Kutschbock eine Kiste gezimmert, die die ganze Breite des Wagens einnahm und hoch genug war, dass Melvin sich auch einmal umdrehen konnte. Sie hatte einen richtigen Deckel mit Verschluss.
»Kommen Sie, Mister Chandler, probieren Sie Ihr Quartier aus!«, forderte John Simon ihn auf.
Melvin kletterte auf die Ladefläche und legte sich hinein. Er fand darin gut Platz, wenn er die Beine auch nicht ganz ausstrecken konnte. »Den Umständen entsprechend recht bequem«, sagte er.
»Muss ich da auch hinein?«, fragte Sarah. Als Abby sie aus dem Bett geholt hatte, hatte sie die Nachricht, dass sie heimlich Sydney verlassen mussten, sehr gefasst aufgenommen. Sie war noch nicht alt genug, um die Gefahr zu erfassen, in der ihr großer Bruder schwebte. Für sie war diese nächtliche Fahrt, die vor ihnen lag, mehr ein aufregendes Abenteuer.
»Nein, du bekommst ein bequemes Lager zwischen den Fässern«, sagte Rachel betont fröhlich. »Du darfst nur keinem erzählen, dass sich dein Bruder da drin versteckt hält, verstehst du?«
»Ich werd schweigen wie ein Grab!«, versprach Sarah mit vor Aufregung glänzenden Augen.
John Simon brummte etwas Unverständliches und reichte Melvin einen Wasserschlauch. »Sie werden ihn da drin brauchen«, sagte er. Dann bedeckte er ihn mit alten Säcken, auf die er Werkzeug legte, für den Fall, dass doch jemand die Kiste bemerkte und einen Blick hineinwerfen wollte. Dann half Abby ihm dabei, leere Fässer und mehrere zusammengeschnürte Bündel Dauben auf die Ladefläche zu heben sowie einen Ballen Stroh, der Sarah mit einigen Decken als weiche Lagerstatt dienen würde. Anschließend holten sie die beiden Zugochsen aus dem angrenzenden Stall und spannten sie ein.
»Möge der Herrgott seine schützende Hand über uns halten«, murmelte der Fassbinder, als das Fuhrwerk aus dem Schuppen rumpelte.
Auf der Straße, die zur Brücke führte, begegneten ihnen mehrere Gruppen betrunkener Männer und Frauen, die den Umsturz mit Rum feierten, den die Offiziere kostenlos hatte verteilen lassen. Und sie sangen Spott- und Hohnlieder auf Gouverneur Bligh, der zum zweiten Mal in seinem Leben Opfer einer Meuterei geworden war.
Die Kontrolle an der Brücke passierten sie ohne Schwierigkeiten. Die beiden Soldaten boten dem Fassbinder sogar einen Schluck aus ihrer Rumkanne an. »In so einer Nacht soll man feiern, Mann, und nicht an die Arbeit denken! Passiert nicht alle Tage, dass so einem Tyrannen wie dem
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