Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
mit ihr schnell die gewundene Gasse zurück, die gerade breit genug für zwei Personen war. Fast wäre er an dem schmalen Gang zwischen zwei Häusern vorbeigelaufen, wenn Abby nicht mit stummer Geste auf den schwarzen Spalt zwischen den Lehmhütten gedeutet hätte.
Sie zwängten sich durch den nicht mal schulterbreiten Gang, der jedoch nach einem halben Dutzend Schritten vor einer Wand endete.
»Wir müssen zurück!«, flüsterte Abby, die vorangegangen war.
»Lassen wir erst die Soldaten vorbei!«, antwortete Melvin ebenso im Flüsterton.
Die Stiefelschritte waren in der Gasse hinter ihnen lauter geworden. Sie hörten zwei Männerstimmen, die über irgendetwas lachten. Kurz vor dem engen Durchlass blieben sie stehen.
Abby und Melvin hielten vor Schreck den Atem an. Hatte man sie entdeckt? Angespannt lauschten sie in die Nacht – und hörten dann ein glucksendes Geräusch, das von einem gierigen Schlucken begleitet wurde.
»He, lass mir auch noch was übrig, Kumpel!«
»Noch mehr als genug drin«, bekam er zur Antwort, gefolgt von einem lauten Rülpsen.
Augenblicke später wankten die beiden Soldaten an ihrem Versteck vorbei. Ihre Stiefelschritte verhallten in Richtung Gouverneursresidenz.
Melvin atmete auf. »Das war knapp und hätte böse ins Auge gehen können. Eigentlich dürfte ich gar nicht zulassen, dass du dich meinetwegen so in Gefahr begibst.«
»Wenn man die Gefahr kennt, kann man ihr auch ausweichen«, erwiderte Abby. »Und wie wollen Sie sonst aus der Stadt rauskommen?«
»Trotzdem wäre es mir lieber, wenn du nicht darin verwickelt würdest. Zumal das mit deinen Freunden doch eine ganz unsichere Angelegenheit ist.«
»Wenn Ihnen einer helfen kann, unbemerkt aus Sydney zu verschwinden, dann ist das John Simon, der Fassbinder«, versicherte Abby. »Kommen Sie, wir müssen weiter. John Simon hat seine Werkstatt zwei Straßen vor der Holzbrücke.«
Melvin machte keine Einwände mehr, sondern folgte ihr.
Den Rest des Weges legten sie unbemerkt und ohne Zwischenfälle zurück.
Dass John Simon ein tüchtiger Fassbinder war und es zu etwas gebracht hatte, sah man seinem Anwesen sofort an. An ein kleines, aber sehr solide gebautes Haus schloss sich ein nicht minder solider Werkstattschuppen an. Ein Stall, wo seine beiden Ochsen untergebracht waren, sowie ein sorgfältig umzäunter und liebevoll gepflegter Gemüsegarten gehörten auch noch zum Anwesen von John Simon.
Im Haus brannte Licht.
Melvin blieb im tiefen Schlagschatten des Schuppens, während Abby an die Tür trat und klopfte. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihr geöffnet wurde.
»Abby Lynn! Um Gottes willen, was tust du denn zu dieser Stunde noch auf der Straße? Hast du nicht gehört, was passiert ist?«, stieß John Simon vorwurfsvoll hervor, als der Schein seiner Lampe auf ihr blasses Gesicht fiel.
»Bitte lassen Sie mich schnell ins Haus!«, bat Abby.
»Ist jemand hinter dir her?«, fragte er misstrauisch, gab die Tür jedoch frei.
»Nein, zumindest noch nicht«, sagte Abby und schlüpfte an ihm vorbei ins Haus.
Rachel kam aus der Küche, die mit der Wohnstube einen Raum bildete. Ihr stark gewölbter Leib verriet, dass sie in Umständen war und ihr erstes Kind schon in wenigen Monaten erwartete. Sie strahlte über das ganze Gesicht, als sie ihre Freundin erblickte.
»Abby! Wie schön, dich mal wieder zu sehen!«, rief sie und drückte sie vorsichtig an ihren prallen Körper. Dann aber wurde auch ihr die ungewöhnliche Stunde ihres Besuches bewusst, und ihr freudiges Lächeln wich einem besorgten Ausdruck. »Ist irgendetwas passiert, Abby?«
Abby nickte, während sie Rachel und ihrem finster dreinblickenden Mann in die Küche folgte und sich an den Tisch setzte. »Ja. Es tut mir Leid, dass ich euch belästigen muss, aber wir brauchen eure Hilfe.«
»Wir?«, fragte John Simon mit hoch gezogenen Brauen.
»Ja, eigentlich geht es mehr um Mister Melvin Chandler«, sagte Abby und berichtete ihnen kurz, in welcher Gefahr er schwebte und was es mit ihrer Bitte auf sich hatte. Als Rachel hörte, dass Melvin Chandler draußen bei der Schuppentür wartete, eilte sie sofort in die Werkstatt, um ihn hereinzulassen.
»Das kannst du uns nicht antun«, sagte John Simon beschwörend, kaum dass Rachel die Küche verlassen hatte.
»Siehst du denn nicht, dass sie in ein paar Wochen schon niederkommt!?«
»Ich wüsste sonst niemanden, an den ich mich wenden könnte«, sagte Abby und wich seinem vorwurfsvollen Blick aus. »Nur Sie können
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