Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
der Bucht bei den Unterkünften der Soldaten loderten Lagerfeuer.
Ausgelassenes Grölen drang durch die Nacht.
Plötzlich pochte es gegen die verriegelte Haustür. Abby fuhr erschrocken zusammen und lief zur Tür. »Wer ist da?«, rief sie leise.
»Ich bin’s, Melvin! Mach schnell auf!«, kam es atemlos von jenseits der Tür.
Hastig schob Abby den Riegel zurück und Melvin schlüpfte ins Dunkel des Hauses. »Gut, dass du alle Lichter gelöscht hast!«, stieß er völlig außer Atem hervor.
»Um Himmels willen, was ist passiert?«
Melvin sank erschöpft auf einen Stuhl. »Eine Meuterei! Das New South Wales Corps hat die Residenz besetzt und Gouverneur Bligh gestürzt! Er steht unter Hausarrest!«
»Das Corps hat den Gouverneur des Königs gestürzt?« Abby sah ihn ungläubig an.
Melvin nickte schwer. »Ja, es ist ein schwarzer Tag für die Kolonie, Abby. Ich kann es selbst noch nicht glauben. John Macarthur und die Offiziere vom Corps sind unter Führung von Colonel Johnston mit dreihundert Soldaten aufmarschiert und haben Bligh wie einen Verbrecher verhaftet!«
»Aber wie konnte das geschehen! Macarthur sollte doch der Prozess gemacht werden!«
Melvin lachte bitter auf. »Colonel Johnston, der amtierende Kommandeur der Truppe, wusste das zu verhindern. Er hat einfach Macarthurs Entlassung aus der Haft veranlasst. Und während Bligh noch mit seinen Beratern und den Offizieren, die über Macarthur eigentlich Gericht halten sollten, konferiert hat, hat Macarthur die Truppe aufgewiegelt und zur Rebellion gegen Bligh aufgehetzt. Jetzt haben sie die Macht in der Kolonie gänzlich an sich gerissen, dieses Verbrecherpack!«
»Aber das wird der König doch nicht ungestraft hinnehmen!«, meinte Abby empört und erschrocken zugleich.
»Sicherlich nicht, aber bis die Nachricht von der Rebellion des verfluchten Rum-Corps nach England gelangt und ein Kriegsschiff mit loyalen Truppen hier eintrifft, können unter Umständen bis zu zwei Jahre vergehen. Solange haben diese Meuterer freie Hand, und sie werden die Zeit nutzen, darauf kannst du dich verlassen. Sie werden jeden, der nicht auf ihrer Seite steht, mundtot machen.«
»Aber dann sind Sie ja auch in Gefahr, Mister Melvin!«, stellte Abby betroffen fest.
»Du sagst es, Abby. Fast hätten sie mich schon geschnappt. Ich war nämlich bei Bligh in der Residenz, als die Soldaten sie besetzt haben. Doch ich hatte Glück und konnte ihnen in der allgemeinen Verwirrung entkommen … und zwar mit einer Menge wichtiger Papiere, die nicht in ihre Hände fallen dürfen.«
»Dann müssen Sie so schnell wie möglich aus der Stadt! Auf Yulara können Sie sich bestimmt besser vor ihnen verstecken als hier. Da draußen kann man jemanden, der nicht gefunden werden will, sogar mit einer ganzen Armee nicht aufstöbern.«
Melvin nickte. »Schon richtig, aber jetzt noch aus Sydney rauszukommen, ist so gut wie unmöglich«, sagte er bedrückt.
»Überall stehen Posten, die jeden kontrollieren. Die Rebellen haben es geschickt gemacht, das muss man ihnen lassen. Sie schmeißen mit dem Rum nur so um sich, und das bringt ihnen bei den Sträflingen viel Sympathie und Unterstützung. Sydney ist so gut wie abgeriegelt. Mit dem Pferd komme ich hier nie raus. Und zu Fuß abseits der Wege durch die Wildnis …«
Er brach ab und schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Ich sitze hier fest wie die Ratte in der Falle. Außerdem würde ich dich und Sarah nicht einfach allein hier zurücklassen.«
Abby hatte plötzlich eine Idee. »Vielleicht gibt es doch einen Weg aus Sydney raus – und zwar für uns alle.«
Melvin hob den Kopf. »Und wie soll das gelingen?«, fragte er müde und voller Zweifel.
»Ich erzähle es Ihnen unterwegs. Gehen Sie nur schnell zu Sarah, damit sie beruhigt ist und glaubt, alles wäre in Ordnung«, drängte Abby. »Wenn es so schlimm ist, wie Sie sagen, haben wir keine Zeit zu verlieren!«
Einundzwanzigstes Kapitel
Sie mieden die belebten Straßen, auf denen Soldaten patrouillierten und der Pöbel rumtrunken lärmte, und den Schein von Laternen und Lagerfeuern. Wie zwei Schatten schlichen sie durch schmale Gassen und verschwommen mit der Dunkelheit der Nacht. Melvin trug einen schwarzen Gehrock und Abby hatte sich ihren selbst geschneiderten marineblauen Umhang umgeworfen.
Stiefelschritte und Klirren von Metall ließen sie zusammenfahren, als sie gerade im Begriff waren, um eine Ecke zu biegen.
»Soldaten!«, raunte Melvin alarmiert, packte ihren Arm und hastete
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