Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
schmerzte.
Allein Sarah täuschte nichts vor. Sie lag weich gebettet zwischen den Fässern und schlief tief und fest. Nachdem Abby sie mitten in der Nacht aus dem Bett geholt und sie gut eine Stunde auf die Abfahrt gewartet hatte, war das Bedürfnis nach Schlaf in ihr immer stärker geworden. Krampfhaft hatte sie versucht die Augen aufzuhalten. Doch nach der ereignislosen Kontrolle an der Brücke, die so gar nichts von einem aufregenden Abenteuer an sich gehabt hatte, hatte sie ihren Widerstand gegen die Lockungen des Schlafes aufgegeben.
»Ja, wir müssen dem Herrgott dankbar sein, dass wir nicht länger Hunger zu leiden brauchen, Sergeant«, sagte Rachel nun mit leiser, demütiger Stimme, in der ein leicht leidender Tonfall mitschwang. Und sie legte beide Hände auf ihren gewölbten Bauch, als hätte sie Schmerzen, die sie jedoch vor den fremden Männern nicht zeigen wollte.
»Was ist nun, sollen wir nachschauen, was er alles geladen hat?«, fragte einer der Soldaten ungeduldig und schaute neidvoll zu seinen Kameraden hinüber, die sich mit dem Bajonett dicke Fleischstreifen von der Hammelseite schnitten.
Der Sergeant, der seinen Blick bemerkt hatte, zögerte einen Moment. Er schaute auf Sarah, die mit angezogenen Beinen und leicht geöffnetem Mund auf dem Strohballen lag und friedlich schlief.
»Ach was, wozu sollen wir wegen ein paar Fässer das Kind aus dem Schlaf holen«, sagte er schließlich großzügig und trat zurück. »Fahr weiter, Fassbinder! … Und dir eine gute Niederkunft, Frau!«
»Gott segne Sie für Ihre Güte!«, rief Rachel ihm zu und meinte es auch so.
John Simon griff zu den Zügeln und brachte die Ochsen in Bewegung. »Heiliges Astloch, da hätten sie uns um ein Haar gehabt!«, stieß er hervor, als sie außer Hörweite der Soldaten waren, und fuhr sich mit zittriger Hand über die schweißnasse Stirn.
»Um ein Haar reicht aber nicht, mein Lieber«, erwiderte Rachel und tätschelte liebevoll sein Bein, während sie voller Bewunderung sagte: »Du hast sie prächtig an der Nase herumgeführt, als hättest du dein Lebtag nichts anderes getan, als solch ausgekochte Gesellen aufs Kreuz zu legen.«
Das Lob gefiel dem Fassbinder, und der Schrecken wich sichtlichem Stolz, denn er straffte sich und warf sich förmlich in die Brust. »So? Findest du?«
»Und ob! Du hättest den besten Schauspieler ausgestochen, John!«, beteuerte Rachel überschwänglich. »Du kannst einem ja die Sterne vom Himmel lügen, habe ich das Gefühl. Ich glaube, ich muss mich vor dir in Acht nehmen.«
Er lachte. »Nun übertreibst du aber.«
»Überhaupt nicht. Findest du nicht auch, dass er das wunderbar gemacht hat, Abby?«
»Keiner hätte das besser machen können als Sie«, versicherte nun auch Abby, der noch ganz flau im Magen war.
»Na ja, wäre doch auch noch schöner gewesen, wenn uns diese Trunkenbolde auf die Schliche gekommen wären«, sagte der Fassbinder munter und trat mit dem Stiefelabsatz dreimal heftig gegen die Rückwand. »Wir sind aus Sydney raus, Mister Chandler. Ich denke, damit haben wir die größte Gefahr hinter uns!«
»Gott sei Dank!«, erklang es gedämpft aus der Kiste.
»Und wie geht es Ihnen?«, wollte Rachel wissen.
»Ich hab schon mal besser gelegen, aber ich brauche nur an eine Gefängniszelle zu denken, um mich doch ganz wohl zu fühlen«, antwortete Melvin mit Galgenhumor.
»Wer weiß, vielleicht ändern Sie Ihre Meinung doch noch, wenn die Sonne erst hoch am Himmel steht«, meinte John Simon spöttisch und trieb die Ochsen an.
Auf der Straße von Sydney nach Parramatta, das sie noch vor dem Morgengrauen erreichten, begegneten ihnen keine Soldaten mehr.
»Fahr nur weiter«, sagte Rachel zu ihrem Mann, als sich die ersten Häuser vor ihnen aus der Dunkelheit schälten. »Ich habe es mir anders überlegt und komme bis nach Yulara mit. Das ist für uns alle am sichersten. Also versuch erst gar nicht, mich umstimmen zu wollen. Das bisschen Schaukeln und Rumpeln wird dem Kind schon nicht schaden, wenn es nach seinem Vater schlägt. Ich bleibe bei dir … und bei Abby, bis wir alle wohlbehalten auf der Farm abgeliefert haben.«
John Simon wusste, wann es sinnlos war, sich mit seiner Frau zu streiten. Und so begnügte er sich mit der Bemerkung: »Wenn es nach dir schlägt, Weib, wird es sich in der Welt nicht weniger gut zu behaupten wissen.«
Sie kamen unbehelligt durch Parramatta und hatten die Siedlung schon eine gute Wegstrecke hinter sich gelassen, als die Sonne feurig
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