Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt

Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt

Titel: Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
dar.
    Abby versteckte ihn unter ihren Kleidern und zwängte sich dann zu Emily auf die schmale Bettstelle.
    Ihre Gedanken kreisten unablässig um ihre Mutter – und um Frederick, bis sie endlich in einen von Alpträumen heimgesuchten Schlaf fiel.
    Im Traum rannte sie wieder durch die Gassen von Haymarket, von einer bösartigen Menschenmenge verfolgt und gellend um Hilfe schreiend.
    Plötzlich schreckte sie auf.
    Ein Schrei!
    Hatte sie geschrien? Im Schlaf?
    Abby richtete sich schlaftrunken auf der harten Pritsche auf. Erst jetzt merkte sie, dass sie das Bett ganz für sich allein hatte. Emily lag nicht mehr neben ihr. Wo war sie? Dem diffusen Licht nach zu urteilen, musste es kurz vor Sonnenaufgang sein.
    Und dann hörte sie einen zweiten Schrei. Diesmal aber gedämpft und in ein ersticktes Schluchzen übergehend. »Warum hat sie das getan?«, fragte eine verstörte Stimme aus dem Halbdunkel. Es war Elizabeth, die zierliche Frau. »Mein Gott, warum hat sie das nur getan?«
    Abby fuhr herum und blickte erschaudernd zur hohen Gittertür der Zelle. Dort hing Emily. Sie hatte sich erhängt.
    Entsetzen wallte wie ein plötzlicher Brechreiz in ihr auf und sie umklammerte mit aller Kraft die Kante der Pritsche. Sie befürchtete, im nächsten Moment die Beherrschung zu verlieren und ihre grenzenlose Angst und Verzweiflung in die feuchtkalte Dunkelheit der Zelle hinauszuschreien.
    »Warum nur?«, fragte Elizabeth erneut.
    »Sie wird schon ‘nen Grund gehabt haben«, erhielt sie eine kaltschnäuzige Antwort von Celia, der Wäscherin. »Und jetzt hat sie es hinter sich. Also was jammerst du, Beth?«
    »Emily ist fein raus«, pflichtete ihr eine andere Gefangene ungerührt bei. »Besser so ein Ende, als jahrelang in diesem Höllenloch von Newgate zu sitzen!«
    »Die Neue ist ‘n richtiges Glückskind«, schnaubte die Wäscherin mit kaum verhohlener Missgunst. »Warum hab nicht ich mit ihr ‘ne Pritsche geteilt? Dann hätte ich die jetzt ganz für mich allein … und nicht diese Abby.«
    »Warte es ab«, höhnte eine andere Stimme. »Vielleicht tut dir Nellie auch den Gefallen, sich klammheimlich am Gitter aufzuknüpfen.«
    »Darauf kannst du warten, bis dir das Fleisch von den Knochen fällt!«, erwiderte Nellie derb, die Einbrecherin, die sich mit der Wäscherin eine Bettstelle teilte.
    Abby drehte sich mit dem Gesicht zur Wand, zog die Knie bis zur Brust an und presste die Hände auf die Ohren. Sie konnte dieses entsetzlich gefühllose Gerede der Frauen nicht länger mit anhören. Sie zitterte unter ihrem Umhang, den sie als Decke benutzte. Ein Menschenleben war im Gefängnis von Newgate so gut wie wertlos. Und diejenigen, die schon länger eingekerkert waren, hatten sich daran gewöhnt, den Tod als etwas Selbstverständliches, ja sogar als Erlösung hinzunehmen.
    Und das war es, was Abby mehr fürchtete als alles andere: Dass auch sie eines Tages so sein, so denken und auch so gefühllos reden würde wie Nellie und Celia.
     

Sechstes Kapitel
     
    In einer Woche! Wenn ich kann!«, hatte Frederick gesagt, als er gegangen war. Vor Ablauf der Woche hatte Abby daher nicht damit gerechnet, ihn im kahlen Besucherzimmer von Newgate wieder zu sehen. Als Frederick sie aber schon zwei Tage später wieder besuchte, wusste Abby sofort, was sein Kommen zu bedeuten hatte. Nicht ein Wort brauchte er zu sagen, um ihr mitzuteilen, weshalb er erschienen war. Die Nachricht vom Tod ihrer Mutter las sie ihm vom Gesicht ab.
    »Wann?«, fragte sie nur.
    »Irgendwann in der Nacht«, antwortete er. Seine Stimme war frei von irgendwelchem Bedauern oder Mitgefühl. Er überbrachte einfach die Bestätigung einer überfälligen Nachricht. »Sie war schon tot, als Charlotte heute Morgen in die Dachkammer kam.«
    Abby riss sich zusammen und war nach außen hin gefasst.
    »Danke, dass Sie gekommen sind, um mir das mitzuteilen, Frederick. Bitte gehen Sie jetzt. Ich möchte nicht darüber sprechen.«
    Er unternahm keinen Versuch, sie umzustimmen, und ging auf der Stelle.
    Abby wandte sich an Putney. »Kann ich einen Augenblick allein sein?«
    Zu ihrem Erstaunen zuckte der Wärter gleichgültig mit den Achseln. »Warum nicht? Er hat für ‘ne halbe Stunde bezahlt, also sollst du sie auch haben.« Er ließ sie in dem vergitterten Raum allein.
    Abby weinte nicht. Noch vor einer Woche hätte sie es vielleicht getan. Doch was vor einer Woche gewesen war, schien mittlerweile zu einem völlig anderen Leben zu zählen. Sie saß nur auf der harten Bank, starrte

Weitere Kostenlose Bücher