Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
ungerechterweise verurteilen wird, der Galgen wird es nicht sein.«
Abby war einen Moment sprachlos. Frederick rechnete fest damit, dass man sie für eine Tat verurteilen würde, auf die die Todesstrafe stand – und die sie nicht begangen hatte. Und er nahm es wie selbstverständlich hin. Dachte gar nicht daran, irgendetwas zu tun, um dieses unglaubliche Unrecht zu verhindern!
»Ich hasse Sie!«, schrie Abby ihn schließlich an. »Ich hasse Sie! … Gehen Sie! … Ich will Sie nicht mehr sehen! … Was sind Sie nur für ein Mensch!«
Abby sprang von der Bank auf, doch Frederick hatte ihre Reaktion wohl vorausgesehen. Seine rechte Hand schoss nämlich blitzschnell durch das Gitter und packte fest ihren Arm.
Der Wärter richtete sich auf dem Schemel auf, bereit, jeden Moment einzugreifen.
»Reiß dich zusammen und setz dich wieder!«, zischte Frederick.
»Lassen Sie mich los!« Abby versuchte vergeblich sich loszureißen.
»Du kannst uns hassen, wie du willst, doch führ dich nicht so auf! In deiner Lage kannst du dir solche Gefühlsausbrüche nicht erlauben. Setz dich, verdammt noch mal, ehe der Wärter dich abführt!«
Abby stand zitternd vor Erregung am Gitter, funkelte ihn hasserfüllt an und befreite sich mit einem Ruck von seiner Hand, deren Griff sich gelockert hatte. Doch sie setzte sich, die Lippen zu einem schmalen, fast blutleeren Strich zusammengepresst.
Philip Putney gab ein knurriges Räuspern von sich, als wollte er sagen: »Ein zweites Mal lasse ich so einen Krawall nicht durchgehen!«, und fuhr fort, an seiner Pfeife zu paffen.
Frederick atmete auf. »Na also. Und jetzt lass uns in Ruhe über alles reden.«
»Ich – ich weiß nicht, warum ich Ihnen überhaupt noch zuhöre«, sagte Abby schwach und schüttelte den Kopf.
»Weil deine Vernunft stärker ist als deine Gefühle.«
»Sie wissen, dass ich unschuldig bin. Doch es kümmert Sie gar nicht. Eigentlich sind Sie verabscheuungswürdiger als die geifernden Leute, die mich auf der Straße beschuldigt haben, und der Konstabler und die Wärter hier. Sie wissen, dass man mir ein himmelschreiendes Unrecht antut, und Sie lassen es völlig gleichgültig geschehen!«
Frederick zeigte sich nicht im Mindesten beeindruckt. Im Gegenteil. Er nickte sogar noch bestätigend. »Nein, ich denke auch nicht daran, irgendetwas zu tun. Weil es sinnlos wäre.
Auch wenn Edward sich stellen und alle Schuld auf sich nehmen würde, wäre es gar nicht mal so sicher, dass man dich freilassen würde. Die Zeugen werden bei ihrer Aussage bleiben, und das Gericht würde nur glauben, Edward wollte seine Komplizin, sein junges Liebchen freibekommen. So oder so, eine Verurteilung ist dir gewiss.«
Abby blickte ihn an, und sie begriff allmählich, dass Frederick kein gefühlloser, skrupelloser Verbrecher war. Er sah die Tatsachen einfach nur nüchtern und machte ihr keine falschen Hoffnungen.
»Ja, ich verstehe«, sagte sie und empfand auf einmal keinen Hass mehr. Sie verstand wirklich. Kein Gericht der Welt würde gegen die Aussagen des bestohlenen Kaufmannes und der anderen Zeugen, die von ihrer Komplizenschaft felsenfest überzeugt waren, sein Urteil fällen und sie freisprechen. So war es nun einmal. Wer arm war, dem haftete auch gleich der Geruch des möglichen Verbrechens an. Denn einen anderen Ausweg als das Verbrechen gab es in der Not oftmals gar nicht.
»Warum sind Sie dann gekommen?«
»Wie ich es schon sagte, wir halten in unserer …«, er dämpfte seine Stimme, sodass der Wärter ihn nicht hören konnte, »… Organisation zusammen. Wir können dir die Freiheit nicht wiedergeben, und wir haben auch weder die nötigen Beziehungen noch das Geld, um dir einen Anwalt zu beschaffen. Der würde dir vor Gericht auch gar nichts nutzen, weil du nun mal scheinbar auf frischer Tat ertappt worden bist und es dafür genug Zeugen gibt. Ein Anwalt wäre somit nur herausgeworfenes Geld. Aber wir können dafür sorgen, dass du in diesem Pestloch nicht im stinkigsten Kerker sitzen und hungern musst. Und wir können ein wenig für deine Mutter tun. Zumindest haben wir ihr zu essen und zu trinken gebracht.«
Abby wagte kaum die Frage auszusprechen. »Wie … wie geht es ihr?«
Er wich ihrem Blick nicht aus und zuckte auch nicht mit der Wimper, als er antwortete: »Nicht gut. Ich glaube nicht, dass sie verstanden hat, was mit dir passiert ist. Sie fieberte.«
»Können Sie nicht einen Arzt …«, begann Abby.
»Nein!«, schnitt er ihr scharf das Wort ab. »Das schlag
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