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Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt

Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt

Titel: Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
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auf den Boden und vermochte nicht zu ergründen, was sie nun fühlte. Trauer? Entsetzen? Verlassenheit? Verzweiflung? Ohnmächtigen Zorn? Hoffnungslosigkeit? Auflehnung gegen ein scheinbar unabwendbares Schicksal?
    Es war wohl von allem etwas dabei. Selbstmitleid zählte jedoch nicht dazu. Sie erinnerte sich der Worte ihrer Mutter über die Schwachen und die Zaghaften. Auf die Welt von Newgate trafen sie zu.
    »Nein, ich werde nicht schwach sein, Mutter«, murmelte sie leise vor sich hin. »Und ich werde auch nicht einfach so aufgeben wie Emily. Was immer auch kommen mag, ich werde alles versuchen, um es zu überstehen. Und niemals werde ich die Hoffnung aufgeben. Niemals. Das schwöre ich dir!«
     

Siebtes Kapitel
     
    Die zweite Hälfte des Februars verstrich und starker Schneefall kennzeichnete die letzten Tage des Monats.
    London versank unter einer weißen Decke, die vielen Obdachlosen den Tod brachte. Sie erfroren im Schlaf. Das eisige Wetter hielt sich bis weit in den März. Und noch Anfang April fielen die Temperaturen mit Einbruch der Dunkelheit so tief, dass der Tod auf der Straße und in den Elendsvierteln reiche Ernte hielt.
    Auch im Gefängnis von Newgate setzte die eisige Kälte so manch einem elenden Leben ein Ende. Der Leichenwagen, der morgens in den Hof rollte, musste selten einmal ohne einen Toten auf seiner strohbedeckten Ladefläche davonfahren.
    Abby dachte so manches Mal mit Schrecken daran, dass wohl auch sie den bitterkalten Winter in Newgate nicht lebend überstanden hätte, wenn Frederick nicht gewesen wäre. Ohne Strümpfe, Schuhe und Umhang wäre sie auf dem eisigen Steinboden der Zelle sicherlich in irgendeiner Februarnacht erfroren.
    Frederick hielt Wort und besuchte sie regelmäßig. Einmal die Woche saßen sie sich für zehn, zwanzig Minuten am Trenngitter gegenüber. Stets brachte er ihr einen Kanten Brot mit. Manchmal hatte er auch ein Stück Pökelfleisch oder irgendeine andere Köstlichkeit dabei. Und steckte er ihr ein paar Pennys oder gar ein Sixpence zu, dann wusste sie, dass seine Diebesbande eine einträgliche Woche hinter sich hatte.
    »Irgendwann wirst du ein bisschen Geld bitter nötig haben, denn ich werde nicht ewig kommen können. Irgendwann einmal wird wohl auch mir der Boden zu heiß werden, und dann wirst du auf dich allein gestellt sein. Also überlege dir zehnmal, bevor du auch nur einen Penny ausgibst, ob es wirklich sein muss! Und versteck das Geld gut! Es werden Leuten schon für weniger als ein Sixpence die Kehlen durchgeschnitten!«, warnte er sie bei diesen Gelegenheiten, die leider viel zu selten waren.
    Abby war für seine Besorgnis dankbar, obwohl sie seiner stets eindringlichen Warnungen längst nicht mehr bedurfte.
    Längst hatte sie erkannt, dass ein Menschenleben hinter den Mauern von Newgate manchmal weniger als einen Penny wert war. Deshalb hütete sie die paar Münzen, die sie im Saum ihres Kleides versteckt hielt, wie einen Schatz. Und das waren die wenigen Pennys und Sixpence auch, wenn sie an die Unglücklichen im Rattenloch dachte.
    Viel hatten sie sich bei diesen Treffen nicht zu sagen. Ihre Gespräche kreisten um Belanglosigkeiten. Schon bei seinem dritten Besuch hatte er ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er auf keinen Fall noch einmal über sich und seine Beweggründe zu sprechen gedachte. Auch seine Zugehörigkeit zu einer Bande organisierter Taschendiebe sei als Gesprächsthema von nun an tabu.
    Für Frederick waren diese Besuche eine Pflicht, die er sich selbst auferlegt hatte, um die Schuld eines Freundes abzutragen. Für Abby waren sie jedoch die einzigen Lichtblicke in ihrem schrecklichen, eintönigen Kerkerleben. Dass er über persönliche Dinge mit ihr nicht zu reden gewillt war, nahm sie gern hin, wenn er sie nur weiterhin besuchte. Frederick war ihre letzte Verbindung zu der Welt, die jenseits der mächtigen Gefängnismauern lag. Und solange er dem Wärter jede Woche die vereinbarte Summe zukommen ließ, brauchte sie nicht zu fürchten, wieder zurück ins Rattenloch geworfen zu werden.
    Die Wochen vergingen und wurden zu Monaten, ohne dass Abby Lynn der Prozess gemacht wurde. Nichts Ungewöhnliches, wie sie von ihren Zellengenossen und von Putney erfuhr.
    Es gab Gefangene, die ein Jahr oder auch zwei hatten warten müssen. Und niemand hatte sich die Mühe gemacht, diejenigen zu zählen, die in den Zellen gestorben waren, bevor ein Gericht über Schuld oder Unschuld hatte befinden können.
    Als der Frost wich und

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