Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
kontrollieren die Einfuhr und setzen den Preis fest, der natürlich ein Vielfaches von dem ist, für den sie selbst den Rum eingekauft haben. Wer gesunden Menschenverstand hat und eins und eins zusammenrechnen kann, wird erkennen, wo nun der große Gewinn winkt: in der Landwirtschaft oder im Rum? Für mich steht die Antwort schon fest, seit ich in London das Vergnügen hatte, mit zwei Offizieren vom Rum-Corps, wie unsere tapfere Truppe auch genannt wird, einen langen Abend zu verbringen.«
»Sie wollen sich also an diesem Rum-Geschäft beteiligen?«, fragte Jonathan Chandler mit unverhohlener Missbilligung.
Bruce Potter kümmerte das nicht. »Aber ganz sicher! Ich beabsichtige nicht, in der Erde zu wühlen oder Korn zu dreschen und auf einen guten Ertrag zu hoffen, wenn das Geld nur so auf der Straße liegt. Ich werde schon einen Weg finden, in diesen Rum-Handel einzusteigen.«
»Eine höchst zweifelhafte Art von Geschäft, wenn Sie mir diese kritische Bemerkung erlauben!«, sagte Jonathan Chandler steif.
»Allen gottlosen Sündern ist das ewige Fegefeuer gewiss!«, drohte Lydia Delton.
William Thackery schnaubte wieder.
»Fegefeuer oder nicht«, sagte James Delton brüsk, »aber aus diesen Gründen die Reise nach Australien anzutreten …« Er brach ab, schüttelte den Kopf und stopfte sich eine weitere Gabel voll Bratkartoffeln in den Mund.
Ein spöttisches Lächeln trat auf Potters Gesicht. Und seine Stimme hatte einen bissigen Klang, als er fragte: »So? Haben Sie vielleicht bessere Gründe, die Sie nach Australien führen, Gentlemen?«
Betretenes Schweigen folgte seinen Worten. Jeder vermied den anderen anzusehen, als fürchtete er, sein bisher gut gehütetes Geheimnis preiszugeben.
Das Schweigen wurde schon peinlich, als Sarah mit weinerlicher Stimme fragte: »Kann ich jetzt nach draußen, Vati? Ich mag nicht mehr.« Sarah war für ihre fünf Jahre zwar ein erstaunlich geduldiges Kind und ähnelte darin sehr ihrem Bruder Melvin. Doch so endlos bei Tisch zu sitzen, nichts sagen zu dürfen und sich das unverständliche Gerede der Erwachsenen anhören zu müssen, stellte ihre Geduld doch auf eine zu harte Probe.
»Natürlich, mein Kind«, sagte Jonathan Chandler sofort und wirkte regelrecht erleichtert, dass er nun einen akzeptablen Grund hatte, sich vom Tisch zu erheben, ohne allzu unhöflich zu erscheinen.
»Ja, ein wenig frische Luft kann uns jetzt wirklich nicht schaden«, konnte sich Andrew nicht verkneifen zu sagen.
»Dass du auch nie deine Zunge in Zaum halten kannst!«, tadelte Melvin ihn leise, als sie an Deck waren. »Das mit der frischen Luft wäre nicht nötig gewesen.«
»Stimmt es denn nicht? Dieses Geschwätz kann doch den zurückhaltendsten Menschenfreund in Rage versetzen.«
»Na, Zurückhaltung ist deine Stärke nun gerade nicht!«
Andrew hielt es für klüger, das Thema zu wechseln. »Meinst du, es stimmt, was Potter über das Rum-Monopol gesagt hat und dass der Gouverneur nicht viel zu melden hat?«, fragte er.
»Irgendetwas wird schon dran sein«, erwiderte Melvin nachdenklich, »denn sonst wäre Captain Winstons Antwort anders ausgefallen. Aber wie Potter schon sagte, bald werden wir es ja selber erfahren.«
»Ich hab doch gleich gewusst, dass es verrückt ist, nach Australien zu gehen!«, sagte Andrew grimmig und blickte vom Achterdeck auf die Sträflinge hinunter, die sich auf dem Mittschiffsdeck drängten. »Schau sie dir doch an, Melvin. Diese verkommenen Subjekte, die nur knapp dem Galgen entronnen sind, machen den Großteil der Bevölkerung der Kolonie aus! Und wenn sie ihre Strafe verbüßt haben, bekommst du sie vielleicht als deine Nachbarn. Stell dir das mal vor!«
»Unsere amerikanischen Kolonien fingen auch mal so an«, gab Melvin zu bedenken.
»Unsere ehemaligen amerikanischen Kolonien!«, verbesserte Andrew ihn.
»Schön, unsere ehemaligen.«
»Ja, und was ist aus ihnen geworden? Sie haben sich gegen unsere Regierung erhoben, diese Verräter, und sich die Unabhängigkeit mit der Waffe in der Hand ertrotzt!«
»Sie haben tapfer für ihre Unabhängigkeit gekämpft, das muss man ihnen zugestehen.«
»Unser König hätte von Anfang an härter zugreifen sollen, dann wäre es nicht notwendig geworden, in dieser gottverlassenen Ecke der Welt eine neue Kolonie zu gründen, wohin man all die Verbrecher da abschieben kann«, haderte Andrew mit dem Schicksal.
Melvin wollte etwas erwidern, kam jedoch nicht mehr dazu.
Eine Bö fiel plötzlich in die Segel ein und
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