Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
Anker werfen. Auf eine Nacht mehr oder weniger kam es nach einer so langen Reise nun auch nicht mehr an.
Während von den Seeleuten, Soldaten und Passagieren viele ausgelassen und bis tief in die Nacht feierten, herrschte unter den Sträflingen eine eher bedrückte Stimmung. Viele teilten nämlich Rachels Befürchtung, dass es ihnen an Land noch schlechter ergehen könnte als an Bord der Kent.
Abby hielt nichts von dieser Schwarzmalerei und beteiligte sich auch nicht an den Gesprächen darüber. Niemand von ihnen wusste Genaues, sodass sie sich letztlich immer wieder im Kreis drehten und düstere Mutmaßungen austauschten.
Als sie mit ihrem Blechnapf zum Trinkwasserfass ging und unwillkürlich zur Gittertür blickte, sah sie Charles Dawson. Er hatte mit Cleo geredet, die sich nun entfernte, ein merkwürdiges Lächeln auf dem Gesicht.
Als der Wärter ihren Blick auffing, bedeutete er ihr mit einer knappen Kopfbewegung, zu ihm an die Tür zu kommen.
Abby zögerte, ging dann aber den Mittelgang zum Gitter hinunter. Was er nur von ihr wollte?
»Ich hab ‘ne wichtige Information für dich!«, raunte er geheimnisvoll.
»So? Und was für eine?«, fragte Abby mäßig interessiert.
»Die ist so verdammt wichtig, dass sie kostenlos nicht zu haben ist, Kindchen. Da musst du dem lieben Charles schon eine Münze in die Hand drücken, wenn du sie hören willst.«
»Ist es dieselbe, die du Cleo gegeben hast?«, fragte Abby auf Verdacht.
»Für dich ist sie zehnmal wichtiger als für Cleo!«
Die Antwort des Wärters bestätigte ihren Verdacht. Er wusste irgendetwas, das zweifellos seinen Wert hatte, und versuchte dieses Wissen nun sooft wie möglich unter den Sträflingen zu verkaufen.
»Wenn du mit Cleo gesprochen hast, hast du vorher bestimmt auch mit denjenigen gesprochen, die im Gegensatz zu ihr noch etwas Geld haben«, meinte Abby, die im Laufe der Monate viel über Sträflinge und vielleicht noch mehr über Wärter gelernt hatte. Eine wirklich wichtige Nachricht wurde immer erst denjenigen angeboten, die mit harter Münze bezahlen konnten. Denn Liebesdienste ließen sich mit einem Becher Branntwein oder einer Ration Pökelfleisch erkaufen.
»Und da einige von ihnen um nichts auf der Welt ihren Mund halten können, werde ich es ja bald zu hören bekommen, und zwar ohne dafür bezahlen zu müssen.«
Charles Dawson schüttelte den Kopf. »Bei dieser Sache ganz bestimmt nicht.«
»Und warum nicht?«
»Weil sich keiner ins eigene Fleisch schneiden will, und genau das würden sie tun, wenn sie weiterplappern, was ich ihnen gesagt habe.«
»Welchen Sinn soll die Information dann noch haben, wenn Sie sie jedem einzeln verkaufen und somit nachher doch alle davon wissen«, blieb Abby skeptisch.
»Ich verkaufe sie nicht jedem«, erwiderte Charles. »Sträflinge, die noch Geld übrig haben, gibt es gerade noch ein Dutzend. Und von den Frauen, die mir anderes als Geld zu bieten haben, stehen nur ganze fünf auf meiner Liste. Aber nur zwei davon habe ich angesprochen. Immerhin laufen wir ja morgen schon in Sydney ein. Wozu soll ich mir da also Gefälligkeiten erkaufen, die ich nicht mehr eintreiben kann? Bei dir ist das was anderes. Du hast noch Geld?«
»Wie kommen Sie darauf?«, tat Abby erstaunt.
Er musterte sie spöttisch. »Ich weiß es einfach. Und ich rate dir dringend, deine letzten Pennys für das, was ich dir zu sagen habe, auszugeben. Es könnte das beste Geschäft deines Lebens sein. Gib mir ein Sixpence, und du wirst es nicht bereuen, auf den guten Charles Dawson gehört zu haben. Wenn du es nicht tust …« Er brach ab und zuckte nur bedauernd mit den Achseln.
»Ein Sixpence!«, protestierte Abby. »Für wen halten Sie mich? So viel Geld habe ich nicht mehr! Und wenn ich es hätte! Ich kaufe die Katze doch nicht im Sack!«
Der Wärter seufzte. »Hör mal, Kindchen. Ich mein es wirklich nur gut mit dir, der Teufel mag wissen warum, aber so ist es nun mal. Und ich sage dir, dass diese Information höllisch wichtig für dich ist. Gib mir ein paar Pennys, und ich sag es dir. Es kann dir viel Kummer ersparen.«
Abby sah ihn an und zögerte sichtlich.
»Was ist? Sind wir all die Monate nicht gut miteinander gefahren?«, fragte der Wärter und klang nun fast verletzt, dass sie ihm nicht traute. »Habe ich dich auch nur einmal übervorteilt oder nicht gehalten, was ich versprochen habe?«
»Nein«, räumte Abby ein.
»Warum traust du mir dann nicht?«
»Zwei Pennys, mehr kann ich nicht geben«, sagte
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