Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
Trinkbecher von Rachel und Megan mit, um sie mit Tee aus der großen Kanne zu füllen, die vorn bei der Tür zum Hof auf dem Tisch der Aufseherin stand. Die Luft flirrte über dem sandigen Boden, als sie kurz auf den Hof hinaussah.
Sie kehrte mit den vollen Bechern zu Rachel und Megan zurück und genoss den Tee, der zwar lauwarm war, den Durst jedoch gut löschte.
Eine Frau aus der benachbarten Spinnerei kam zu ihnen in die Werkstatt und rief schon in der Tür: »Morgen geht es hier rund! Die Männer kommen!«
»Es gibt also endlich wieder einen Heiratsmarkt?«, stieß eine der Korbbinderinnen aufgeregt hervor.
»Ja, gleich morgen in der Früh!«, bestätigte die Frau aus der Spinnerei. »Ich hab es vom alten Stevenson, und der musste es ja wohl wissen!«
Im Handumdrehen redete alles wild durcheinander. Die Frauen waren regelrecht aus dem Häuschen. Sogar Rachel und Megan zeigten reges Interesse.
Abby nippte an ihrem Tee, während sie den Gesprächen um sich herum zuhörte, ohne sich jedoch daran zu beteiligen. Sie waren jetzt schon über drei Wochen im Frauengefängnis, und in diesen arbeitsreichen, heißen Wochen hatte sie viel über die Kolonie und ihre Eigenheiten erfahren. Auch über den Heiratsmarkt, den die Frauen in der Factory spöttisch Fleischbeschau nannten, und das wohl nicht ohne Grund.
In New South Wales herrschte vom Tag der Gründung an ein erheblicher Mangel an Frauen, ganz besonders aber an heiratswilligen Frauen. Daran hatte sich in den siebzehn Jahren nichts geändert. Es hieß, dass auf eine Frau mindestens vier Männer kamen. Erschwerend war außerdem, dass viele Siedler, die sich eine Frau wünschten, um eine Familie zu gründen, weit ab von der nächsten größeren Siedlung wohnten. Sie hatten weder Zeit noch Gelegenheit, sich eine Frau zu suchen.
Aus diesen Gründen gab es in unregelmäßigen Abständen einen Heiratsmarkt im Frauengefängnis von Parramatta.
Meist nachdem ein Schiff neue Sträflinge in die Kolonie gebracht hatte. Wer eine Frau suchte, fand sich an diesem Tag in der Factory ein und sah sich unter denjenigen Frauen um, die zu heiraten gewillt waren. Es war eine recht nüchterne, sachliche Angelegenheit, wie Abby gehört hatte, bei der niemand von Gefühlen sprach. Es ging ausschließlich darum, einen Schicksalsgefährten zu finden, um die Zukunft besser bestehen zu können. Daher versuchte jeder, sich so gut wie möglich an den Mann zu bringen.
Wer einen freien Siedler für sich gewinnen konnte, denn auch die fanden sich an diesen seltenen Tagen im Jahr ein, wenn auch in geringer Anzahl, der konnte sich glücklich schätzen und wurde von den anderen Frauen beneidet. Denn dann war mit einer Begnadigung sehr schnell zu rechnen. Ein Emanzipist mit einer guten Farm oder einem Handwerk, das eine Familie ernähren konnte, war die zweitbeste Wahl. Emanzipist war jeder ehemalige Sträfling, der seine Strafe verbüßt hatte oder vorher schon begnadigt worden war. Die schlechtesten Aussichten hatten die Männer, die nur einen ticket-of-leave-Schein vorweisen konnten, also auf Bewährung auf freiem Fuß waren.
»Hoffentlich krieg ich diesmal einen ab«, hörte Abby eine Frau sagen, die wenig ansprechend aussah und zudem noch faulige Zähne hatte. »Das letzte Mal hätte es fast geklappt. Ein kräftiger Kerl mit einer Farm in Windsor. Wir waren uns schon fast einig gewesen, als Beth, dieses dreckige Flittchen, mir die Suppe versalzen und ihm schöne Augen gemacht hat. Da hat er mich sitzen lassen und Beth genommen.«
»Wirst schon einen finden«, tröstete sie jemand.
»Ja, wenn die Beschau mal bei völliger Dunkelheit stattfindet«, höhnte eine Stimme.
»Schau doch selbst mal in den Spiegel, wenn du dich traust, dein eigenes Abbild zu ertragen!«, geiferte die Frau zurück, und fast wäre es zu Handgreiflichkeiten gekommen.
»Was hältst du vom Heiratsmarkt morgen?«, fragte Rachel zu Megan gewandt. »Du bist jung und hübsch und hast bestimmt gute Chancen.«
»Ich weiß nicht«, sagte Megan nachdenklich. »Mit einem fremden Mann von einer Stunde auf die andere unter einem Dach zu leben, das Bett mit ihm zu teilen und ihm Kinder zu gebären …« Sie ließ den Satz offen.
»Immer noch besser, als sieben Jahre in diesem Brutofen zu sitzen und sich krumm zu schuften«, meinte Rachel.
»Wirst du weggehen?«, fragte Abby.
»Kommt darauf an, wer mich fragt«, antwortete Rachel ohne Zögern. »Wenn es ein anständiger Mann ist, warum nicht? Liebe ist selten der beste
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