Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
geht«, redete Rachel ihr noch einmal zu. »Dieser Heiratsmarkt ist nichts weiter als ein Geschäft, bei dem es darauf ankommt, für sich den besten Preis zu erzielen.«
»Ein Straßenmädchen tut auch nichts anderes.«
»O doch! Es verkauft ihren Körper für Geld täglich an andere. Eine Vernunftehe wirst du damit doch wohl nicht auf eine Stufe stellen wollen!«, widersprach Rachel fast ärgerlich. »Dagegen kann ich nichts Verwerfliches darin sehen, wenn man sich aus einer Anzahl Bewerber denjenigen als zukünftigen Ehemann aussucht, der die meisten Vorteile für sich ins Feld führen kann.«
»Ich habe ja nichts gegen den Heiratsmarkt«, versicherte Abby. »Nur kann ich mir einfach nicht vorstellen, schon heute verheiratet zu sein.«
»Du hättest dir an dem Februarmorgen vor gut einem Jahr auch nicht träumen lassen, dass du schon ein paar Stunden später in einer Kerkerzelle von Newgate sitzen würdest«, erinnerte Rachel sie.
»Nein.«
»Na also!«
»Dennoch, das hier ist etwas anderes. Hier kann ich selber frei entscheiden …«
»Frei? Mach dich nicht lächerlich, Abby! Zeig mir auch nur einen Sträfling, der sich frei entscheiden kann!«, forderte Rachel sie schroff auf. »Bei uns Sträflingen gibt es keine freien Entscheidungen, sondern nur vorteilhafte und unvorteilhafte.
Schreib dir das hinter die Ohren! Du hast mir zwar Lesen und Schreiben beigebracht, aber auf anderen Gebieten solltest du von mir lernen. Manchmal habe ich nämlich den fatalen Eindruck, dass du immer noch nicht das Träumen verlernt hast.«
Abby lachte über Rachels Reaktion, die nur ihrer gut gemeinten, freundschaftlichen Besorgnis entsprang. »Das habe ich auch nicht, und ich denke auch nicht daran, es in Zukunft zu verlernen. Träume sind etwas Wunderbares, wenn man sich nicht darin verliert natürlich.« Versonnen fügte sie hinzu: »Ich glaube nicht, dass Emily noch Träume gehabt hatte.«
Rachel drehte sich auf dem Schemel um. »Emily?«
»Ach, das war eine Frau, mit der ich in Newgate eine Pritsche teilte. Nur für eine Nacht. Sie hing sich nämlich auf«, erklärte Abby. »Sie hatte bestimmt keine Träume mehr, die ihrer Verzweiflung die Waage halten konnten.«
Rachel schüttelte verständnislos den Kopf. »Gewöhnlich machst du ja einen normalen Eindruck. Du weißt dich zu behaupten und hart zu arbeiten, und ich wäre bestimmt die Letzte, die sagen würde, du hättest das Herz nicht auf dem rechten Fleck. Nur manchmal werd ich einfach nicht schlau aus dir, so wie jetzt, wenn du redest wie ein Buch mit sieben Siegeln.«
Abby lächelte. »Wie wär’s, wenn du es meinem noch kindlichen Gemüt zuschreiben würdest«, schlug sie vor.
Rachel schnaubte. »Pah! Du hast dir so viel kindliches Gemüt bewahrt, wie Cleo Anständigkeit buchstabieren kann. Du hast einfach etwas an dir, was ich nicht verstehe.«
»Ich glaube, dir steigt die ganze Aufregung um den Heiratsmarkt zu Kopf und bringt dich völlig durcheinander«, scherzte Abby.
»Ich bin so klar im Kopf wie Quellwasser«, brummte Rachel, doch was Abby gesagt hatte, stimmte. Aufgeregt waren sie alle. Und so sehr sich auch jeder bemühte, sich gelassen und abgeklärt zu geben, so groß waren insgeheim jedoch die Hoffnungen und Erwartungen, die jedes Mal mit einem Heiratsmarkt verknüpft wurden. Die Erfahrung hatte nun mal gezeigt, dass nicht alle unter die Haube kamen, die sich das wünschten.
»Sie kommen! … Sie lassen die Männer rein!«, schallte es durch die Quartiere. »Es geht los!«
Abby war so aufgeregt, dass ihr das Herz bis in den Hals schlug, als sie nun gemeinsam mit Megan und Rachel in den Hof eilte, um die Ankunft der ersten Bewerber nicht zu versäumen.
Die Sonne stand noch keine Handbreit über den Feldern von Parramatta und war noch ohne brennende Kraft. Angenehm mild war die Luft im Hof, und die heiratswilligen Frauen waren für das weiche Morgenlicht dankbar, das so manch äußeren Makel weniger deutlich hervorhob.
Die erste Gruppe Siedler bestand aus vier Männern, die sich sichtlich verloren vorkamen, als sie sich den vielen Frauen gegenübersahen, die sie abschätzend musterten, ob sie für sie in Frage kämen oder nicht.
»Nur Mut, Leute!«, rief eine besonders forsche Frau von korpulenter Figur und löste sich aus einer Gruppe. »Ihr könnt ruhig näher kommen und euch anschauen, was wir zu bieten haben. Wir beißen nämlich nur Rotröcke und Aufseher!«
Gelächter erfüllte den Hof und vertrieb den Augenblick allgemeiner
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