Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
heulte ein Dingo, als klagte auch er der Nacht seine Einsamkeit.
Zehntes Kapitel
Der Januar verabschiedete sich mit einem schweren Sommergewitter, das jedoch die Hoffnungen der Kolonisten auf Regen nicht erfüllte. Außer einem Donnergetöse, das den Breitseiten einer Kriegsflotte alle Ehre gemacht hätte, und unzähligen grellen Blitzen brachte es der Kolonie nichts, noch nicht einmal Abkühlung. Die schweren dunklen Wolken entluden ihre Regenlast weit draußen über der See. Viel Lärm um nichts, sagten sich die Siedler enttäuscht und litten weiter unter der Hitze, die wie eine unsichtbare Last Mensch und Tier niederdrückte.
Der Februar kam und Abby hatte noch immer nichts von Jonathan Chandler gehört. All die Wochen, seit man sie nach Parramatta gebracht hatte, war sie unerschütterlich in ihrer Überzeugung gewesen, dass der Siedler, der ihr an Bord der Kent zweimal zur Seite gesprungen war, sein Versprechen halten würde.
Doch nun bekam ihre Zuversicht Brüche, und sie begann von Tag zu Tag mehr daran zu zweifeln, dass man sie aus der Factory holen würde, damit sie bei der Erziehung dieses kleinen Mädchens Sarah zur Hand ging und ihren Teil Feldarbeit auf der Farm, wo immer sie auch sein mochte, leistete.
Dass ihr fester Glaube ins Wanken geriet, hatte auch nicht unwesentlich mit dem abrupten Weggang von Rachel und Megan zu tun. Erst jetzt kam ihr so richtig zu Bewusstsein, wie viel Kraft sie aus dem Zusammensein mit diesen beiden Frauen geschöpft hatte. Wie schwer die Überfahrt auch gewesen war, so hatte sie doch immer zwei Menschen um sich gehabt, denen sie Zuneigung entgegenbrachte und alles anvertrauen konnte, was sie beschäftigte. Trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere hatten sie doch so etwas wie eine verschworene Gemeinschaft gebildet, die ihnen geholfen hatte, alle Schikanen und Strapazen zu überstehen, ohne in Mutlosigkeit und Verzweiflung zu versinken. Noch nicht einmal in London, als sie noch frei gewesen war, hatte sie die Vorzüge solcher Freundschaften genossen.
Und nun war plötzlich keiner mehr da. Es gab auch keine unter den anderen Frauen, die diese Lücke füllen konnte. Nicht, dass sie sich jetzt von ihnen abgeschieden und für sich gehalten hätte. Sie war sogar recht beliebt. Mit der einen und anderen verstand sie sich gut genug, um gelegentlich zusammenzusitzen und einen Schwatz über Belanglosigkeiten zu halten. Doch die Vertrautheit, die ihre Beziehung vor allem zu Rachel gekennzeichnet hatte, hatten diese neuen Freundschaften nicht.
Abby tat ihre Arbeit, weil dies das Einzige war, was ihr zu tun blieb, und sie tat ihre Arbeit so gut, dass sogar Mary Hayes sie lobte, was einiges hieß. Die Aufseherin ging mit Lob nämlich so sparsam um wie ein Kerkermeister mit Barmherzigkeit.
Es blieb heiß und trocken im Februar, und während sie in der Korbbinderei saß und die Hände geschickt ihre Arbeit verrichteten, ließ sie ihren Gedanken freien Lauf. Sie fragte sich, wie es Megan und Rachel jetzt wohl ergehen mochte. Hatten sie es mit ihren Männern gut angetroffen? War alles wirklich so, wie die Männer ihnen ihr Haus und ihr Auskommen beschrieben hatten? Und wie war es, von heute auf morgen sein Leben nach einem Mann auszurichten, der ihnen völlig fremd war und von dem sie doch eigentlich nicht viel mehr als seinen Namen wussten?
Häufig grübelte sie auch darüber nach, ob es klug gewesen war, Rachels Rat, trotz ihrer Jugend ebenfalls eine Heirat mit einem anständigen Mann ins Auge zu fassen, in den Wind zu schlagen. Eine Vorstellung, die ihr noch Schwierigkeiten bereitete, sie jedoch immer wieder aufs Neue beschäftigte.
Das erste Februardrittel war verstrichen, als Mary Hayes eines Nachmittags zu ihr kam. »Hier ist ein Brief für dich, Abby Lynn«, sagte sie.
Abby blickte ungläubig auf. »Ein Brief? … Für mich?«
»Es steht dein Name drauf. Dann wird er wohl auch für dich sein«, sagte die Aufseherin und zog den Brief aus der Tasche ihrer Schürze. »Er kommt aus Sydney.«
Rachel hatte geschrieben! Abbys Hand zitterte vor Freude und Aufregung, als sie den Brief entgegennahm. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass ihr jemand geschrieben hatte.
»Du brauchst nicht bis nach Feierabend zu warten«, sagte Mary Hayes in einem ihrer seltenen Anflüge von Großzügigkeit. »Du kannst ihn ruhig jetzt schon lesen.«
»Danke.« Abby wartete, bis die Aufseherin sich entfernt hatte, und war sich unschlüssig. Sie war begierig, Rachels Brief zu lesen, und es
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