Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
des Wortes«, begann er verlegen, »und es fällt mir schwer, mich ins rechte Licht zu rücken, ohne falsche Hoffnungen zu erwecken. Mir fehlt die Erfahrung in solchen Sachen. Es ist das erste Mal, dass ich bei so einer … äh … Veranstaltung zugegen bin …«
»Ich auch, Mister Simon.«
»Das macht es mir ein wenig leichter, Ihre Fragen zu beantworten«, sagte der Mann mit einem zaghaften Lächeln.
»Warum erzählen Sie mir nicht ein wenig über sich?«, ermunterte Rachel ihn.
»Nun, viel zu erzählen gibt es da nicht«, sagte John Simon und räusperte sich, um Zeit zu gewinnen, wusste er doch allen Anschein nach nicht, womit er beginnen sollte. »Acht Jahre sind es schon, die ich hier in der Kolonie bin, drei davon als freier Mann. Man hatte mich beim Wildern erwischt. Vier Forellen waren es genau, die ich aus dem Fluss seiner Lordschaft geholt habe. Der Verwalter erwischte mich, und so kam ich ins Gefängnis von Dartmoor. Dass meine kleinen Geschwister nichts zu essen und ich keine Arbeit hatte, interessierte die Herren Richter wenig. Es war eine schlimme Zeit, damals 1796, und sie mussten wohl so hart sein, weil sonst jeder die Wälder, Flüsse und Teiche der Gutsbesitzer geplündert hätte, denn die Ernte war verdorben, und wovon sollten die Menschen leben?« Er hielt inne und zuckte mit den Achseln. »So bin ich mit der Lady Pellham nach New South Wales gekommen. Anfangs hab ich ja jeden Tag verflucht und Gott einen ungerechten Weltenlenker geschimpft, was ER mir gnädigst verzeihen und meiner verwirrten Seele zuschreiben möge, aber dann hatte ich das Glück, dem alten George Jones zugeteilt zu werden, der eine kleine Fassbinderei besaß. Er war ein guter Mann und ein noch besserer Fassbinder, und er brachte mir im Laufe der Jahre alles bei, was er wusste. Kurz bevor er starb, wurde ich begnadigt, und als der alte George unter der Erde lag, führte ich die Werkstatt allein weiter.«
»Sie sind also Fassbinder?«, stellte Rachel mit einem leichten Kopfnicken fest, das Abby als Zeichen erwachenden Interesses deutete.
»Ja, und ein recht guter, wie man mir allenthalben versichert«, antwortete er und errötete doch tatsächlich bei dem Eigenlob. »Es waren Jahre harter Arbeit gewesen, was mich auch nicht gestört hat. Doch immer allein zu sein …« Er brach mitten im Satz ab und fuhr dann mit ernsthafter Sachlichkeit fort: »Meine Werkstatt ist klein, aber ordentlich, und dasselbe gilt auch für mein Haus. Es ist trocken, hat einen richtigen Bretterboden und besitzt eine Herdstelle, die einer Frau wohl gefallen sollte. Und hinter dem Haus habe ich einen Gemüsegarten angelegt. Wie beschäftigt ich sonst auch immer war, den Garten habe ich nie vernachlässigt.«
»Ja, ein Stückchen Land ist immer wichtig.«
John Simon lächelte dankbar, als hätte sie etwas Lobendes gesagt: »Ich bin jetzt zweiunddreißig, und es ist wohl an der Zeit, dass ich mir eine Frau nehme und Kinder habe. Ja, und da stehe ich nun vor Ihnen, weiß gerade Ihren Namen und würde gern mehr von Ihnen erfahren – sofern mein Interesse an Ihnen nicht völlig auf Ihre Ablehnung stößt.«
»Das tut es nicht, Mister Simon.«
Der Fassbinder sah sie nun mit einem hoffnungsvollen Blick an, der Abby urplötzlich einen merkwürdigen Stich versetzte, ja, sogar so etwas wie Neid in ihr weckte. Sie schämte sich im nächsten Moment ihrer Gefühle und dass sie Rachels Gespräch verfolgt hatte. Deshalb stieß sie sich von der Tür ab und entfernte sich mit raschen Schritten, um Ausschau nach Megan zu halten, die ihr aus den Augen geraten war.
Mehrere Männer unternahmen den Versuch, mit ihr ein Gespräch anzuknüpfen, doch Abby bedeutete ihnen mit einer knappen Antwort, dass sie nicht zu den Heiratswilligen gehörte. Sie entdeckte Megan schließlich vor dem Küchenhaus, in ein ernstes Gespräch mit einem schlaksigen Mann vertieft, der einen lockigen Haarschopf hatte, kaum viel älter als sie war und ein lustiges, mit Sommersprossen übersätes Gesicht hatte.
Abby sah ein, dass sie überall stören würde, und zog sich deshalb in die Korbbinderei zurück. Zu ihrem Erstaunen saß Mary Hayes, die resolute Aufseherin, an ihrem Tisch und schaute von ihrem günstigen Platz neben der Tür auf den Hof hinaus.
Abby wollte schon wieder gehen, doch da hörte sie: »Bleib nur. Hier bist du wohl am besten aufgehoben. Das da draußen ist nichts für dich – noch nicht.«
»Danke«, murmelte Abby und setzte sich auf ihren Schemel, verwundert von der
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