Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
aufgeplatzt wie die Schale einer überreifen Frucht und das Blut war der Armen in Strömen über den Rücken gelaufen.
Zwei Dutzend Schläge, das war ja noch gnädig gewesen. Sie hatte gehört, dass männliche Sträflinge, die sich etwas hatten zu Schulden kommen lassen, hunderte von Schlägen mit der neunschwänzigen Peitsche erhielten. Für manche, die über keine robuste Konstitution verfügten, war das der Tod. Es war, als wollten der Gouverneur und vor allem die Offiziere der Marinesoldaten ihnen immer wieder in Erinnerung rufen, dass New South Wales eine Sträflingskolonie war.
»Sieben lange Jahre noch?«, fragte Abby sich mit wachsender Verzweiflung. »Tag für Tag Körbe flechten? Das halte ich nie aus!«
Es wurde Mitte Februar, und Abby hatte längst die Hoffnung aufgegeben, dass Mister Chandler kommen und sie auf seine Farm holen würde. Er hatte sie wohl vergessen und wohl jemand anders gefunden, der sich um seine kleine Tochter kümmerte. Doch sie irrte sich.
In einer Mittagspause kam der dicke Ron Fender, der im Büro des Gefängnisverwalters als Schreiber arbeitete, und sprach mit der Werkstattaufseherin.
»Abby Lynn!«, rief Mary Hayes sie zu sich.
Abby ließ ihre Arbeit liegen und ging zu ihr. »Ja?«
»Ich schätze, du hast hier bei mir die längste Zeit Körbe geflochten, Mädchen. Du bist einem Siedler als Arbeiterin zugeteilt worden«, eröffnete sie ihr. »Er wartet im Büro des Verwalters auf dich. Hol deine Habseligkeiten aus der Unterkunft, denn er nimmt dich sofort mit. Du hast es verdient.«
»Wissen Sie auch, wem ich zugeteilt bin?«, fragte Abby gespannt.
»Ja, einem Mister Chandler.«
Als sie kurz darauf das Büro des Verwalters betrat, erhielt ihre Freude einen Dämpfer. Denn dort wartete nicht Jonathan Chandler auf sie, sondern sein jüngster Sohn Andrew. Und der blickte sie alles andere als freundlich an.
Elftes Kapitel
Das Fuhrwerk, das von zwei prächtigen Ochsen gezogen wurde, rumpelte über den sandigen Weg, vorbei an den letzten Hütten und Häusern von Parramatta.
Abby saß vorn bei Andrew auf dem harten Sitzbrett. Das Fuhrwerk, das mit Säcken und Fässern schwer beladen war, kam nur langsam voran. Als die Ochsen den Wagen eine Anhöhe hochgezogen hatten, blickte sie sich noch einmal um. Augenblicke später war Parramatta ihren Blicken entzogen und vor ihnen lag weites, hügeliges Land, durchzogen von Eukalyptuswäldern und dornigen Buschgruppen. Dazwischen wuchs graubraunes Gras, das merkwürdig struppig und verbrannt aussah. Die Straße war nicht länger breit, sondern bestand nur noch aus zwei Spurrillen, die von Wagenrädern in die Erde gegraben worden waren, und verlor sich in der Ferne zwischen Gras und Sträuchern.
Seit sie die Factory verlassen und neben ihm auf dem Bock Platz genommen hatte, hatten sie kein Wort mehr gewechselt.
Ihr war es recht gewesen, doch nun störte sie sein beharrliches Schweigen, dass irgendwie etwas Vorwurfsvolles an sich hatte.
»Wie weit ist es bis zur Farm, Mister Chandler?«, brach sie schließlich das Schweigen.
»Weiter als man bei dieser Bullenhitze eigentlich fahren sollte«, antwortete er unfreundlich.
»Darunter kann ich mir natürlich viel vorstellen, Mister Chandler.«
»Nenn mich nicht Mister Chandler! So kannst du meinen Vater ansprechen. Ich heiße Andrew!«
»Wenn Sie das so wollen …«
»Ja, ich will das so!«, sagte er knurrig, fügte dann aber hinzu: »Unsere Farm liegt am Hawkesbury River, gute vierzig Meilen von Parramatta. Vor morgen Mittag werden wir nicht da sein.«
»Also übernachten wir im Busch?«
Er warf ihr einen Blick zu, als hätte sie etwas reichlich Dummes gesagt. »Selbstverständlich nicht! Habe nicht vor, mich von entlaufenen Sträflingen ausrauben oder von Eingeborenen überfallen zu lassen. Wir werden die Nacht bei einem Siedler verbringen, der bei Windsor lebt, auf halber Wegstrecke.«
»Sie mögen mich nicht, nicht wahr, Andrew?«, kam es Abby spontan über die Lippen.
»Ich kenne dich überhaupt nicht.«
»Eben darum.«
»Ich weiß nicht, was du da redest.«
»Sie haben schon das Eingreifen Ihres Vaters auf der Kent nicht gebilligt«, sagte sie ihm auf den Kopf zu.
»Ich habe keinen Sinn darin gesehen, sich mit einem Captain anzulegen, der an Bord gekommen war, um sich ein Hausmädchen auszusuchen, was wohl sein gutes Recht ist!«, erwiderte Andrew bissig.
Ärger wallte in ihr auf. »Von wegen Hausmädchen! Sie wissen genau, dass das nicht stimmt!«
»So? Was
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