Abby und Schneewittchen in Gefahr: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Minuten, bis schließlich ein Haus zwischen den Bäumen auftaucht. Es ist ein ziemlich kleines Haus. Ein kleines, weißes Haus mit einem Vorgarten, der mit seinen schönen Blumen einen gepflegten und einladenden Eindruck macht. Mir wird wieder etwas leichter ums Herz, denn die böse Frau weiß anscheinend doch, wo sie hingeht. Sie geht nämlich hierhin . Und es ist immerhin besser, einer bösen Frau zu folgen, die weiß, wo sie hingeht, als überhaupt niemandem, oder?
Ich ziehe Jonah hinter einen Baum, als die böse Frau den bezaubernden steinernen Weg zum Haus entlanggeht.
Sie klopft an die Tür. Einmal. Zweimal.
Keine Antwort.
Sie klopft noch einmal.
Und endlich bewegt sich der Vorhang hinter einem der Fenster.
Kapitel 6
Ein Apfel am Tag
E s ist doch jemand zu Hause!«, flüstert Jonah. »Warum macht denn keiner die Tür auf?«
»Wenn so eine alte Hexe bei uns anklopfen würde, wür dest du doch auch nicht aufmachen, oder?« Das hoffe ich jedenfalls für ihn.
»Ich weiß, dass du da bist, Dummerchen«, sagt die alte Dame mit liebreizender Stimme. Zu dem Dummerchen im Haus ist sie merkwürdigerweise sehr viel freundlicher als zu uns.
Da bewegt sich der Vorhang wieder, und das Fenster geht auf. »Es ist nur so … Na ja, wissen Sie … Ich darf niemanden hereinlassen«, antwortet die Person hinter dem Fenster.
Also ist tatsächlich jemand zu Hause! Eindeutig ein Mädchen. Die Stimme klingt zwar nicht mehr ganz nach einem Kind, aber auch nicht erwachsen.
Die alte Frau holt einen glänzenden, roten Apfel aus ihrem Korb. Er funkelt regelrecht in der Sonne.
»Ich habe Hunger«, flüstert Jonah. Dann tut er so, als wäre er ein Zombie und lässt seine Augen ganz glasig werden. »Huuunger!«
Ich kneife ihn. »Pst!«
»Ich verkaufe Äpfel«, flötet die alte Dame.
»Nein, vielen Dank«, sagt das Mädchen hinter dem Vorhang. »Ich darf nichts kaufen.«
»Dann schenke ich dir einen«, bietet die Dame an. Dann räuspert sie sich. »Den Rest verkaufe ich später.«
»Nein, wirklich, das ist sehr nett von Ihnen«, sagt das Mädchen. »Aber vielen Dank.«
Ich beuge mich vor, sodass ich das Gesicht des Mädchens sehen kann. Sie hat außergewöhnlich dunkle Haare und erstaunlich helle Haut, aber nicht so wie ein Zombie. Mehr wie eine Porzellanpuppe. Und sie hat richtig rote Lippen. Richtig, richtig rot. So wie blutrot, aber nicht wirklich blutrot. Und sie ist ziemlich hübsch. Sie kommt mir irgend wie bekannt vor. Vielleicht hat sie ja mal bei uns babyge sittet?
»Aber sie sind so lecker!«, versucht die alte Dame das Mädchen weiter zu beschwatzen, während sie ihr den Apfel hinhält. »Er ist ganz saftig und frisch. Was hast du denn? Hast du etwa Angst, dass er …«
Ehe ich es mich versehe, drängt Jonah sich an mir vorbei und läuft auf die Lichtung. »Ich nehme ihn! Ich nehme den leckeren, saftigen Apfel!«
O nein.
»Jonah«, rufe ich ihm im Flüsterton nach. »Komm sofort zurück!«
Doch er bremst seinen Sprint erst kurz vor der Tür ab. »Hallo«, sagt er und lächelt die alte Dame an. Dann hält er ihr die offene Hand hin. »Kann ich einen haben, bitte?«
Die alte Frau fährt ihn barsch an: »Die sind nicht für dich. Hau ab!«
»Aber ich habe ›bitte‹ gesagt«, jammert Jonah. »Und ich bin am Verhungern!«
Mit einem Seufzer komme ich aus meinem Versteck. »Du hast gehört, was die Frau gesagt hat, Jonah. Komm her!« Ich gehe zu ihm, fasse ihn an der Schulter und senke meine Stimme. »Außerdem sollst du nichts von Fremden essen, das weißt du doch.«
»Und warum darf das Mädchen den Apfel dann essen?«, fragt Jonah.
Hmm. Ein roter Apfel. Ein Mädchen mit dunklen Haaren und weißer Haut. Irgendetwas Seltsames passiert in meinem Kopf. Es zuckt in meinen Gehirnwindungen, als wenn ich etwas herausbekommen müsste.
»Sie darf es auch nicht«, sage ich irritiert. »Und außerdem hat sie es ja auch gar nicht vor. Hast du nicht gehört, was sie gesagt hat?« Dem Mädchen rufe ich zu: »Es ist immer besser, auf Nummer sicher zu gehen!« Und dann zeige ich ihr meine Faust mit nach oben zeigendem Daumen, doch die alte Dame schlägt meine Hand beiseite.
»Haut ab!« Sie ist inzwischen ganz schön schlechter Laune. »Zeit für euch beide zu gehen. Husch, husch.« Dann versucht sie ein Lächeln, aber es sieht ziemlich gekünstelt und auch ein bisschen unheimlich aus. Dann wendet sie sich wieder dem Mädchen zu. »Und Zeit für dich , den Apfel zu essen, meine Liebe.«
»Warum ist sie nur so
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