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Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Titel: Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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trage dich zur Mutter,« sagte er, indem er Schamah vom Boden aufhob und in seine Arme nahm. »Wo finde ich sie?«
    »Bei Abd en Nom,« antwortete Thar, indem er sich anschickte mitzugehen, von mir aber festgehalten wurde.
    Sein Vater ging mit vor Erregung fast schwankenden Schritten nach dem angegebenen Hause, in dessen Innern er verschwand. Der Bub aber sagte:
    »Wenn ich nicht mitgehen darf, um zu hören, was gesprochen wird, so muß ich allein sein, um über das, was sich ereignet, nachzudenken. Vater hat recht: Es geschehen noch Wunder. Das allergrößte Wunder des heutigen Tages aber bin ich! Denn ich habe hinter seinem Rücken die Verschwörung mit dem Hammahr angezettelt und die Verzeihung grad hierher an das Grab des Lazarus geleitet, ohne daß ich dabei gescheiter gewesen bin als alle andern, dich, Effendi, und unsere Gattin mit ausgeschlossen. Wartet hier auf mich! Sobald ich den Verstand beisammen habe, werde ich mich hören lassen.«
    Er entfernte sich. Wir nahmen auf dem Gemäuer Platz und teilten uns unsere Gedanken mit – leise wie in einer Kirche. Wir waren ganz allein. Der Hüter hatte sich entfernt. Das Grab stand offen. Welche Gedanken schauten aus dieser geöffneten Tür zu uns herüber! – Der Tag begann sich zu neigen. Ein reiner, heiliger Odem wehte von der Höhe des Ölberges zu uns her. Ich hörte etwas in mir. Oder war es außen? Stand jemand hinter uns? Ein Gewaltiger, von keinem Menschen jemals zu Erreichender, der über uns hinweg zum Grabe hinüber rief, aber doch auch mich mit meinte: »Lazarus, komm’ heraus!« Es gibt ja nicht bloß in körperlicher Beziehung Wundertaten, durch welche Tote wieder lebend werden.
    Da klang leise und wie aus hoch über uns erhabenen Lüften das zweistimmige Lied von Bethanien, wo der Heiland zu den Geschwistern kommt, zum Grab hernieder. Die Knaben hatten auf Thars Anweisung das Gemäuer, welches auf meinem ersten Bilde zu sehen ist, erstiegen und wiederholten, was sie am Teiche Siloah gesungen hatten, das Lied von Christus, der Blinde sehend macht und Tote wieder lebend. Es kommt mir wie eine Profanation vor, die Arten dieser Blindheit und dieses Todes durch Worte anzudeuten. Solche Dinge muß man fühlen; ich aber habe nicht zu belehren, sondern nur zu erzählen.
    Als das Lied wie ein aus Christi Zeit herübergetragenes Gebet verklungen war, kehrte Thar zurück. Er hatte seine Gespielen nun verabschiedet und nach Hause geschickt. Und gleich darauf trat sein Vater wieder aus dem Hause. Seine Schwägerin und Schamah begleiteten ihn. Das Bibelwort: »Und ihre Angesichter glänzten,« war auf sie anzuwenden.
    »Welch eine Stunde, welch eine heilige Stunde,« sagte er. »Und dazu dieses Lied! Wer hat das angeordnet?«
    »Ich,« antwortete der Bub, indem er mit beiden Händen auf sich zeigte.
    »Bist du es wirklich gewesen? Mir war es, als ob es ein Gruß von deiner Mutter sei –«
    »Und auch meines Verstorbenen,« fiel da die Witwe ein, »der aber nicht tot, sondern lebend ist und dessen letzter Wunsch nun in Erfüllung geht.«
    »Und wenn es wirklich von diesen beiden käme, nicht aber von dir, mein Sohn,« fuhr Mustafa Bustani fort, »so hast du doch schon außerdem mehr als genug getan und dir unsern Dank verdient. Abd en Nom hat uns gesagt, wer der eigentliche Urheber des heutigen Zusammentreffens ist. Das Mitleid, welches die Mutter dir in die junge Seele legte, hat Frucht und Segen gebracht. Schamah, die Verzeihung, wird bei uns wohnen und – – –«
    »In unserm Hause?« fiel da der Bub schnell ein.
    »Ja.«
    »Mit ihrer Mutter?«
    »Ja.«
    »Wie lange?«
    »Für alle Zeit, so hoffe ich.«
    Da tat der Knabe den größten Luftsprung, der ihm möglich war, und rief aus:
    »So muß ich schleunigst fort, um ihnen zu sagen, daß sie kommen!«
    »Wem?«
    »Unserm Habakek, dem Gehilfen, unserm Bem, dem Kaffeeneger, und unserer Köchin, seiner Frau!«
    »Das hat noch Zeit, denn die Schwägerin bleibt heute noch hier bei Abd en Nom. Wir holen sie erst morgen ab, wenn alles vorbereitet ist, sie festlich zu empfangen.«
    »Festlich empfangen!« jubelte Thar, indem er einen zweiten Luftsprung machte. »Dazu gehören meine Löwen und meine Elefanten! Erlaubst du mir, sie einzuladen?«
    Der Vater zog ein ganz und gar nicht zustimmendes Gesicht, aber meine Frau winkte ihm bittend zu und so antwortete er:
    »So lade sie!«
    »Auch die Nilpferde?«
    »Ja.«
    »Und die Walfische?«
    »Auch sie. Sie sollen im Garten sitzen und bewirtet werden, aber ruhig sein.

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