Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Titel: Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
schoß er sich heimlich wohl selbst. Nach dem Orte zu suchen, wo er es aufbewahrte, bis es stank, war heute nicht nötig. Wir stiegen also wieder zur Höhe hinauf und wanderten der Mühle entgegen.
    Wir kamen über den Oberlauf des ersten Baches und dann eine Stunde später an den Oberlauf des dritten Baches, an dem die Mühle lag. Wir folgten diesem. Als wir sie erreichten, befanden wir uns schräg gegenüber der Stelle, an welcher wir uns gestern hinter die Jasmine versteckt hatten. Die Müllerin war mit den Kindern im Garten. Sie schnitt Rosen. Auch den Müller sahen wir. Er band junge Obstbäume an die Pfähle. Wir schritten über die Weiden hinüber, gerade auf sie zu. Sie sahen es und kamen an den Zaun. Der Müller auch. Als wir sie erreichten, grüßten wir. Ich sagte, daß wir Fremde seien und daß ich Rosen außerordentlich liebe. Sofort griffen die Kinder mit allen vier Händchen in den Korb, um mir eine ganze Menge zu bringen. Ich aber bat nur um zwei, für mich eine und für Halef eine. Hierauf suchte die Müllerin die zwei schönsten aus und reichte sie uns. Ich nahm die meine und sagte:
    »Weißt du schon, o Müllerin, daß die Engel des Gebetes am liebsten auf Blumendüften auf-und niedersteigen?«
    »Ich hörte es,« antwortete sie.
    »Du betest mit deinen Kindern: Erlöse uns von Abdahn Effendi und allen seinen Freunden! In diesem Gebete steigen deine Engel zum Himmel auf. Und auf dem Dufte dieser Rosen kehren sie zu dir zurück, um dir zu sagen: Euer Gebet ist erhört. Nur noch wenige Tage, so seid ihr erlöst.«
    Und mich an ihren Mann, den Müller wendend, fuhr ich fort:
    »Die Bedingung des türkischen Adjutanten ist bereits erfüllt: Gott hat den Christen gesandt! Nun warte getrost, was weiter geschieht! Lebt wohl! Und Dank für Duft und Rose!«
    Ich ging schnell fort. Halef dankte auch und folgte ebenso rasch. Ihre Stimmen klangen hinter uns her. Wir sahen aber nicht zurück, sondern beeilten uns, im Walde zu verschwinden. Hierauf suchten wir den alten Waldhüter auf, der den Bären abermals gesehen hatte, und forderten ihn auf, bereit zu sein, uns morgen schon früh zu begleiten. Dann gingen wir heim.
    Als wir dort ankamen, war es schon dunkel. Das Eßzimmer war leer. Man sagte uns, daß Abdahn Effendi sehr krank sei und mich bitten lasse, zu ihm zu kommen. Ich wurde nach seiner Schlafstube geführt. Da lag er in einem ganz eigenartigen Zustande. Seine Frau wußte weder aus noch ein mit ihm. Er hatte schon gleich am Vormittage »Pöntsch« gemacht, er selbst, mit Aloe, Knoblauch und Zwiebeln. Das war nichts Wunderbares; das hatte ich sogar erwartet. Aber er hatte ihn auch getrunken, und das war eine Leistung, die ich mir als keine menschliche denken konnte. Dann hatte er wie ein Klotz gelegen und geschlafen. Am Nachmittag war Bewegung über ihn gekommen. Er hatte sich hin-und hergeworfen und allerlei dummes Zeug gesprochen, besonders einige ganz eigentümliche Worte über sich selbst, die sie nicht begreifen könne. Ich wollte fragen, welche Worte das seien; da gab er mir die Antwort selbst und ungefragt. Er richtete sich halb auf, starrte wie in die Ferne und rief:
    »Erlöse uns von Abdahn Effendi und allen seinen Freunden! Da soll ich sagen! Ich will nicht, ich will nicht! Aber ich fühle, daß ich muß, ich muß, ich muß!«
    Dann fiel er wieder um. Er war ohne Besinnung. Er hatte uns gar nicht gesehen. War das nur der Rausch? Oder wirkte auch noch etwas anderes mit?
    »Das sind die Worte, die ich meine,« sagte die Frau.
    »Und was hat er außerdem noch alles gesprochen?« erkundigte ich mich.
    Das brachte sie in große Verlegenheit. Sie schwieg. Sie konnte nicht antworten; sie durfte nicht; sie hätte ja alles verraten. Sie wollte die ganze Nacht hier sitzen bleiben und keinen Menschen zu ihm lassen. Mich habe sie nur fragen wollen, ob diese Krankheit schlimm und langwierig sei. Ich gab ihr den Bescheid, daß sich das erst morgen zeigen werde und ging dann fort, um Abendbrot zu essen und mich dann schlafen zu legen. Die zweimalige Trinkerei hatte auch uns ermüdet.
    Wir machten heute gar nicht erst den Versuch, in unserem Gast-und Wanzenzimmer zu schlafen. Wir machten es uns gleich auf dem Dache bequem, und zwar auf derselben Stelle wie gestern. Die zwei Achmed Agha hatten wir nicht zu erwarten, denn es war die Botschaft von beiden gekommen, daß sie heute abend amtlich ungemein beschäftigt seien. Die verkappten Adjutanten waren daheim. Es brannte Licht in den beiden Stuben. Am andern

Weitere Kostenlose Bücher