Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen
Morgen waren sie so zeitig wach wie wir, nämlich schon beim Tagesgrauen. Sie gingen an uns vorüber, als wir unseren Pferden einige Bewegung machten. Wir grüßten. Sie taten, als ob sie das nicht sähen, als ob wir gar nicht vorhanden seien.
Dann brachen wir auf zur Bärenjagd. Ich will nur kurz wiederholen, daß wir ein großes Glück hatten. Wir erlegten die beiden Alten und brachten die beiden Jungen lebend mit heim. Das imponierte, und Abdahn Effendi gab uns, wie bereits erwähnt, den Auftrag, für ihn so viel Wild wie möglich zu liefern. Wir gingen darauf ein, weil es uns Vorteil brachte, ließen uns aber keineswegs dadurch verleiten, ihm als Fleischergesellen zu dienen. Auch das Wild ist Gottes Geschöpf!
Er hatte sich heute von seiner gestrigen Niederlage erholt, wenigstens körperlich, seelisch aber nicht. Man sah deutlich, es ging ihm unablässig irgend etwas im Kopfe herum, und er bewegte sehr oft die Lippen, als ob er heimlich mit sich selbst zu sprechen habe. Davon, daß er Pöntsch gekocht und getrunken hatte, sagte er kein Wort. Auch die beiden Kommandanten, welche heute wieder mit zu Abend aßen, schwiegen über ihre Gastereien und ihre Bombenräusche. Als sie später heimgingen und auch ich mich mit Halef entfernen wollte, bat er uns, noch einige Minuten zu warten; er habe uns noch eine Frage vorzulegen. Wir blieben also noch.
Zunächst warnte er uns vor dem Türken und dem Perser, die über uns wohnten. Die hatten ihm gesagt, er solle sich vor uns hüten, weil wir sicher weiter nichts als nur Pferdediebe seien. Solche Pferde und solche Menschen könnten höchstens nur durch Diebstahl zusammenkommen! Sodann fragte er speziell mich, der ich ja ein Gelehrter sei, ob ich etwas von den Krankheiten des Geistes wisse. Ich nickte. Da fuhr er fort:
»Ich komme mir seit gestern vor, als ob ich wahnsinnig werden sollte. Es steckt ein fremder Kerl in mir, der mich zwingen will, etwas zu sagen, was die größte Dummheit ist, die es geben kann.«
»Was ist das, was du sagen sollst?« fragte ich.
»Das sage ich ja eben nicht! Es ist ein ganz bestimmtet Wort, ein ganz bestimmtes Satz, mit dem ich innerlich geladen bin, wie eine Flinte mit der Kugel geladen ist. Und immerwährend greift eine Hand nach dem Drücker, um diesen Satz, diese Kugel abzuschießen. Das ist eine entsetzliche Qual! Ich habe nur immer auf diese Hand aufzupassen, daß sie den Drücker nicht erwischt! Kennst du das, Sihdi? Hast du schon einmal von so etwas gehört?«
»Ja; oft sogar!«
»Und gibt es ein Mittel dagegen?«
»Nein!«
»Allah ‘l Allah!« rief er erschrocken aus. »Wirklich nicht?«
»Nein!« antwortete ich unerbittlich.
»So muß ich es sagen?«
»Unbedingt! Es gibt keine andere Hilfe!«
»Aber ich will doch nicht!«
»Du mußt! Du wirst gezwungen!«
»Es schadet mir!«
»Das ist nicht wahr! Es schadet dir nur, wenn du es darin behältst! Heraus muß es! Wenn du es nicht vor Menschen sagen willst, weil es dir schaden würde, so knie nieder und sage es Gott! Zu sagen hast du es! Die Hand, die nach dem Drücker greift, ist die Hand deines Gewissens. Dieses Gewissen will dich retten! Du sollst bekennen; du sollst beten! Du sollst ein anderes, ein neues Leben beginnen. Wenn du das nicht tust, so wirst du entweder verrückt, oder du stirbst!«
Da stand er von seinem Sitze auf, richtete sich stolz in die Höhe und sagte:
»Bekennen? Beten? Ein neues Leben? Ich glaube, nicht mir droht der Wahnsinn, sondern du wirst verrückt! Hältst du mich für einen Verbrecher, der sich zu bessern hat?«
»Wofür ich dich halte, kommt gar nicht in Betracht. Du hast mich nach Geisteskrankheiten gefragt, und ich gebe dir Auskunft. Das ist eine Gefälligkeit von mir, die dich zu Dank verpflichtet, weiter nichts. Was dein Gewissen mit dir zu sprechen hat, kann ich nicht wissen. Und ob du das, was es dir befiehlt, den Menschen beicht est oder Gott, das ist mir einerlei. Aber ich kenne das und weiß, daß es kein Entrinnen gibt. Ist das Gewissen noch so sehr durch Arrak, Rum, Zucker und heißes Wasser betäubt und schläft es noch so fest in diesem Rausche, die Aloe, der Knoblauch und die Zwiebeln, die sich der Mensch so toll ins Leben mischt, sie wirken doch! Ein einziges Wort, welches dir zu Ohren kommt, steigt in die Tiefe deiner Seele, weckt dein Gewissen aus dem Schlafe und läßt dir nicht eher wieder Ruhe, als bis du dich entschieden hast, ob du gehorchen willst oder nicht. So steht es auch bei dir. Du hast dich zu entscheiden!
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