Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen
Wege. Sie gingen. Die Müllersleute befanden sich in Verlegenheit.
»Laßt euch das nicht quälen!« forderte ich sie auf. »Ihr habt mit diesen Männern von uns gesprochen und dabei erfahren, daß sie uns für Pferdediebe halten. Wie klug das von ihnen ist, magst du sehen.«
Wir zogen unsere türkischen und persischen Pässe aus den Taschen und gaben sie ihnen hin.
»Das ist gar nicht nötig!« rief die Müllerin. »Wir glauben euch!«
»Dein Mann soll sie aber lesen«, antwortete ich. »Es ist mein Wunsch!«
Er tat es. Als er sie überflogen hatte, verbeugte er sich tief und sagte:
»Ja, es war nicht nötig; aber ich kann doch nun diesen beiden Ungläubigen beweisen, daß wir recht hatten, als wir mit Begeisterung von euch sprachen. Ihr scheint viel mehr zu wissen, als wir selbst. Wir werden aber nicht wagen, euch mit Fragen zu belästigen. Unser Haus ist das eure. Tretet ein, wenn es euch beliebt!«
»Wir bleiben hier im Freien. Laßt eure Kinder kommen und einen Schluck Milch für uns. Zu sagen haben wir euch für heute noch nichts. Eure behördlichen Berater sind nicht wir, sondern die beiden Adjutanten. Wir treten nur dann für euch ein, wenn sie sich als unbrauchbar erweisen.«
Wie ich da gesagt hatte, so geschah es. Wir tranken Milch. Halef setzte die beiden Kinder auf unsere Pferde, die von den Eltern hoch bewundert wurden, und tummelte sich mit ihnen herum. Und ich unterhielt mich indessen mit diesem Manne und dieser Frau, die zwar erst in der Mitte der Dreißigerjahre standen, aber doch schon soviel Lebensernst und Lebenserfahrung besaßen, daß sie mir in hohem Grade vertrauenswürdig vorkamen. Ich fragte nach nichts. Dieser Besuch hatte nicht den Zweck, sie auszuforschen, sondern nur, sie überhaupt kennen zu lernen, um gegebenenfalls zu wissen, wie weit man für sie eintreten durfte oder nicht. Doch erfuhr ich immerhin einiges, was mir wichtig war. Hiezu gehörte vor allen Dingen die Neuigkeit, daß die Frau Abdahn Effendis heimlich hier gewesen war, um zu fragen, ob sie sich in den Schutz des Müllers flüchten dürfe. Sie könne es unmöglich mehr als Sklavin ihres Mannes und seiner Bekannten aushalten. Sie war stets eine heimliche Freundin der Müllersleute gewesen und darum hatten diese ihr den nachgesuchten Schutz zugesagt. Wo man sie unterzubringen gedenke, ob hier in der Mühle oder anderswo, danach erkundigte ich mich nicht. Aber ebensowenig verriet ich, woher wir wußten, was Mutter und Kinder gebetet hatten. Ich kann sagen, wir gewannen uns gegenseitig aufrichtig lieb.
Als wir dann am Abend nach Hause kamen, versorgten wir zunächst unsere Pferde und gingen hierauf zum Abendessen. Da saßen alle vier Agha mit dem Effendi beisammen, welcher natürlich schon aß, ehe noch die anderen angefangen hatten.
Es war das eine wirklich ausgebildete, direkte Gefräßigkeit, vor der ich schon während der ganzen Woche gewarnt hatte, und nun auch weiter warnte. Dieser dicke, fette, kurz-und starkhalsige Mann, der oft kaum atmen konnte, besaß alle Zeichen der gefährlichsten Schlagfälligkeit in so hohem Grade, daß es einem angst und bange wurde, wenn er sich einmal aufzuregen begann. Dann färbte sich sein Gesicht blau; er zitterte am ganzen Körper, und alles deutete darauf hin, daß er ersticken wolle, und doch tat er nur gerade das, was geeignet war, diese seine Schlagfälligkeit zu erhöhen. Seine Eß-, nein Freßbegierde war geradezu widerlich, und leider durfte das, was ich dagegen vorbrachte, nicht deutlich sein, weil es ihn sonst beleidigt hätte. Ich konnte nur im allgemeinen sprechen, und da war er sehr weit entfernt davon, es auf sich zu beziehen.
Unser Kommen wurde mit einem Jubel begrüßt, der zu laut war, als daß er hätte aufrichtig und ehrlich sein können. Da gab es lauter »Gemütsmenschen«, lauter »Seelen von Menschen«, lauter »Freunde«! Besonders mit dem letzteren Worte warf man in einer Weise um sich, die nicht nur lächerlich, sondern geradezu beleidigend war. Wir nahmen das ruhig hin und taten, als ob wir es glaubten.
Abdahn Effendi war sehr zerstreut. Er gab sich zwar Mühe, dies nicht merken zu lassen, doch vergeblich. Man sah zu deutlich, wie er von Zeit zu Zeit sich förmlich zusammenraffte. Es drückte ihn etwas schwer, sehr schwer, und sein Auge kehrte immer und unwillkürlich mit einem Ausdrucke zu mir zurück, als ob er bei mir Hilfe suchen wolle und doch nicht dürfe. Es war, als könne er sich nicht fassen. Er blieb nach dem Essen nicht sitzen. Es trieb
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