Abdruecker (Splattergeschichten)
hat, der Gedanke an eine unklare Bedrohung. Es hat mit dem Bild zu tun, das mich geweckt hat. Ich sitze mit Jeka in der Bar und betrachte mich aus der Perspektive eines Beobachters, der mit der Schusswaffe auf meinen Kopf zielt. Ich liege im Dunkeln und spüre mein Herz rasen. Oder es hatte etwas damit zu tun, dass Jeka den Kopf gehoben hat, um ebenfalls zu lauschen. Nach einigen Sekunden legt sie mir den Kopf wieder auf die Brust, kommt ganz nahe an mein Ohr und flüstert fast lautlos: „Ich muss gehen. Man erwartet mich. Ich habe gesagt, dass ich mit dir Kontakt aufnehmen werde. Folge mir morgen Abend im Park. Ich laufe an einen Ort, wo wir frei sprechen können.“
Ich schweige, umarme sie fest und dann küssen wir uns. Es wird ein langer Kuss, der erst endet, als ich ihr meine Hand zwischen die Beine schiebe. Sie hält meine Hand fest und zieht sie heraus. Ich umarme sie wieder und wir liegen mit offenen Augen in der Dunkelheit. Dann löst sie sich von mir, zieht sich an und geht. „Du kannst die Tür zufallen lassen“, sagt sie noch. Ich bleibe reglos auf dem Sofa und denke, wie schön es ist, und zugleich wie zwecklos.
Am folgenden Morgen laufe ich Jeka im gemächlichen Trott hinterher, vom Hotel über die breiten, kaum befahrenen Boulevards bis an die lange, weiße Mauer des Al Ahmadi-Parks. Man läuft fast eine Viertelstunde, bis man an das große Tor kommt. Kaum ist man dort durch gekommen, taucht man mehr und mehr in eine feuchte Undurchdringlichkeit ein. Draußen in der normalen Welt ist die Luft trocken und nach dem Untergang der Sonne schneller als erwartet kühl geworden. Hier herinnen aber, zwischen den üppigen Pflanzen, die gerade nachts vielerorts von Dämpfen bestäubt waren, herrscht tags und nachts eine gleich bleibende, warme Feuchtigkeit, die zum Verweilen einlädt. Allerorten kommen die Besucher des Parks – darunter in der Mehrzahl Menschen aus anderen Kontinenten – dieser unausgesprochenen Einladung nach. Es gibt hier mehrere Erholungsinseln mit Bädern, Cafes, Bars und Restaurants, und Spielplätze sowie Kinderparadiese, die Tag und Nacht geöffnet bleiben. Hier ist es hell und laut, und hier massieren sich auch die Sicherheitskräfte, die diskret für einen geregelten Ablauf der Vorgänge sorgten. Dann kommt man als Jogger aber relativ bald in den unbeleuchteten Teil, der anfänglich noch diskrete Spuren der Verwilderung zeigt, mit rostig gewordenen Laternenpfählen und bröckligen Betonwegen, und wenn man weiter läuft, kommt man in jenen Teil, in dem sich die Natur sichtlich ihr Territorium zurück erobert. Hier setzt vielfach auch schon die Wasserversorgung aus, die gleichwohl bewusst nicht unterbrochen wird, da man stellenweise aus diesem Gebiet Pflanzen für den gepflegten Teil des Parks entnimmt. Hier verkehren nur sehr wenige Menschen, nur sehr selten Gartenbaumaschinen, und hier sind unter den Besuchern die Menschen aus der westlichen Industriegesellschaft völlig unter sich. Sie suchen die Einsamkeit der Langstreckenläufer und stoßen dabei auf eine versteppende Landschaft, durchschossen von Flugsamen der angrenzenden Wüste, besiedelt von einer großen Anzahl von Wildtieren, die in dieser Oase, in der der Mensch nur zu Besuch ist, so dicht auftreten, dass es hier Tags und Nachts nie ruhig wird, und Aufschriften auf Tafeln in den wichtigsten Sprachen der westlichen Welt vor Raubtieren und Giftschlangen warnen.
Ich habe sie im Wirrwarr der Wege verloren, aber Jeka hat mir ein Wegkreuz genannt, an dem wir uns treffen würden. Ich verberge mich dort im Unterholz, und warte ruhig und in Hocke, bis sie wieder zurück kommt. Hier kann man uns nur mehr mit Satelliten ausmachen, es ist ein Dschungel hier, eine Wüstenei. Zumindest scheint es so. Man hört Lebewesen hier, aber die Laute scheinen sämtlich von Tieren zu stammen oder auch von Menschen, die mit der Natur vertraut sind und sich wie Tiere bewegen. Ich bin mir sicher, dass keine mechanischen Geräusche darunter sind: Das Ausfahren eines teleskopartigen Teils, das Sirren eines sich drehenden Elementes oder das Schnappen eines Verschlusses, und das zumindest auf eine Entfernung von hundert Metern. Dann höre er jemanden, der sich als Mensch ungezwungen gibt, oder unbewusst, und dann taucht sie auf, im Jogging-Outfit aus einem T-Shirt und Hotpants, die kaum ihr Gesäß bedecken. Jeka trägt auch, wie ich merke, keine Socken in ihren dicksohligen Laufschuhen, als wolle sie darauf aufmerksam machen, dass sie schlanke
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