Abdruecker (Splattergeschichten)
Draußen ist noch ein Hauch von Abendrot, und dazwischen leuchtet ein heller Stern auf. Es muss ein Planet sein, wahrscheinlich Venus, denke ich, oder Jupiter. Sie scheint meine Gedanken lesen zu können, denn sie sagt: „Heimat, das ist da oben.“
„ Ach ja?“
„ Ja. Ich war da oben.”
„ Was, auf der Venus?“
„ Nein.“ Sie blickt mich strafend an, wendet sich dann ihrem Glas zu, trinkt es in einem Zug aus und hält es mir neu zum Füllen hin. Mein Blick schweift zum Kellner, der unweit von uns Gläser trocknet. Er hat begriffen, wirft schon Eiswürfel in ein Glas.
„ Wo oben?” frage ich.
„ Im Weltall. Wir haben einen Satelliten hoch geschafft.”
Ich schaue ihr ins Gesicht. Es wirkt müde und hat einen eigenartigen Ausdruck. Sie ist Millionen Meilen weg. Gehört das zu dem, was zum Eindruck eines eingesperrten Tieres passte?
„ Wirklich?” frage ich. Als mich ihr Blick trifft, zucke ich fast zusammen, denn es ist Wut und Verletztheit in ihren Augen.
„ Tu doch nicht so“, sagt sie.
„ Wie?“
Sie winkt ab und schaut wieder weg. Der Kellner kommt mit zwei Gläsern, und sie nimmt dankbar das Glas entgegen. Es ist ihr dritter Wodka, den sie wohl auch zu Hause trinkt. Ich aber habe schon vor Jahren alte Gewohnheiten abgestreift und merke, dass mir bereits der Kopf zu schwimmen beginnt, und lasse das Glas erst mal auf dem Tischchen stehen.
„ Du warst Kosmonautin?“
Sie nickt. „Ja. Ich war fünf Monate da oben. Fünf Monate meines Lebens.”
„ Als Kosmonautin? Ich dachte, du bist vom Beruf Physikerin. Du verstehst etwas von den physikalischen Eigenschaften tödlicher Substanzen.”
Sie senkt den Kopf und greift sich an die Stirn. „Ich war immer beim Geheimdienst“, sagt sie. „So ist das. Es war alles Geheimdienst. Und ist es immer noch.“
„ Wie war es, da hoch hinauf zu fliegen?“
Sie scheint mich nicht gehört zu haben, reibt sich eine Schläfe. „Ich glaube, ich brauche einen Kaffee“, sagt sie dann. „Ich habe irgendwie einen toten Moment.“
Ich winke dem Kellner. „Kaffee, eine Kanne und zwei Tassen. Und vielleicht etwas Brot und Butter und einen Teller mit Käse?“
Wir schweigen, bis der Kaffee kommt. Jeka isst die Brotschnitte, die ich ihr wie einem kleinen Kind geschmiert und mit Käse belegt habe, widerstandslos, mit einem stumpfen Blick, den ich nicht deuten kann.
„ Wie wird man Kosmonautin?“
„ Ich habe Physik studiert. Habe ich dir das schon gesagt? Du hast mich doch über Radionuklide referieren hören. Früher haben wir Atomkraftwerke gebaut. Und Atombomben. Heute bauen wir nichts mehr. Wir hacken alles klein.“
„ Ich bin beeindruckt, Jeka“, sage ich ehrlich. „Soviel ich weiß, sind es höchstens einige hundert Menschen, die überhaupt im Weltall waren. Und du gehörst da dazu.“
Sie nickt. „Ich habe elf Einsätze geflogen. Insgesamt war ich 156 Tage im All. Irgendwann einmal ist dann der Körper verbraucht wie eine Spielkarte, abgegriffen, und es müssen andere ran.“
„ Wir sollten darauf anstoßen“, sage ich und hebe meine Kaffeetasse.
„ Was ist das?“ fragt sie, verwirrt.
„ Eine Faszination, ich kann das nicht näher erklären. Einem Menschen gegenüber zu sitzen, der im All war. Oder noch genauer: Einem Körper gegenüber zu sitzen, der die Erde so lange verlassen hat, und dem Weltraum nahe war. Du hast vielleicht gehört, dass die Inder glauben, dass man da draußen im Äther ist, dem fünften Element.“
„ Ja, ich habe davon gehört.“
„ Darf ich dich berühren?“
Sie gibt mir ihre Hand. Ich drücke sie, und sie drückt zurück und lässt dann los. „Na, Sternenstaub gefühlt?“
„ Nein.“
„ Du hast mir nicht die Hand gegeben, als wir uns begrüßt haben.“
„ Habe ich doch, oder?“
„ Nein. Du hast einfach Hallo gesagt, was ich als sehr unhöflich empfunden habe.“
„ Wirklich?“
„ Ja. Ich war sehr erstaunt.“
„ Vielleicht war das, weil du so spät gekommen bist.“
„ Du bist also rachsüchtig?“
„ Nein. Aber ich war verärgert.“
„ Verärgert, weil du ein paar Minuten gewartet hast?“
„ Über dreißig Minuten.“
„ Sage ich doch.“
„ Eigentlich passt das nicht zu einer Physikerin, und noch weniger zu einer Kosmonautin, dass du mit der Uhr nicht umgehen kannst. Ihr lebt doch vom Countdown, oder?“
Sie nickt, greift dann nach meinem Glas Wodka und nippt daran, ohne mich aus den Augen zu lassen.
„ Und wie nennt man das?“ frage ich.
„ Klauen“,
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