Abendfrieden
Nachbarin, als sie im Freien waren. »Viel zu kalt.« Gerda Danzik verzog den Mund.
Unter mühevollem Gerucke ließ sie sich von ihrem Sohn auf den Beifahrersitz platzieren. Der Plastikbeutel war nun bei Frau Burmester, die ihn auf dem Rücksitz ablegte. »Schöner Wagen«, meinte die Nachbarin, als sie zügig über die Rodigallee Richtung Dulsberg fuhren. »Machen Sie doch mal ’n bisschen Musik.«
Danzik drehte das Radio an und bemerkte im Spiegel, wie die Burmester hin- und herwippte. Über dem schmierigen Kunstblond ihrer Haare waren überall die dunklen Ansätze zu sehen. Danzik konzentrierte sich auf den Verkehr. »Stell sofort diesen Krach ab«, sagte Gerda Danzik mit wieder kräftiger Stimme.
Danzik machte das Radio aus. Der Rest der Fahrt verlief in Schweigen.
Er fand einen Parkplatz direkt vor der Wohnung und zog, zusammen mit Frau Burmester, seine Mutter aus dem Auto. »Alter vor Schönheit«, sagte die Nachbarin. »Schönheit?« Gerda Danzik sah die junge Frau gehässig an.
Im Wohnzimmer ließ sich Danziks Mutter auf ihren grünen Fransensessel fallen. »Danke, Frau Burmester, Sie haben uns sehr geholfen«, sagte Danzik. »Ich glaube, Sie können jetzt einen Kaffee gebrauchen.« Frau Burmester machte Anstalten, in die fremde Küche zu gehen. »Nein, danke, wir haben ja schon Abend.«
»Dann packe ich jetzt die Sachen aus.«
»Sehr freundlich, aber das schaffe ich schon.« Danzik geleitete sie mit einem bezwingenden Lächeln zur Tür. »Auf bald.« Frau Burmester hob winkend den Arm.
Gerda Danzik machte die Augen auf. »Schrecklich, diese Person. So was von aufdringlich.«
»Ist das nicht etwas undankbar?«
»Und redet und redet.«
»Ohne Frau Burmester wärst du vielleicht nicht mehr am Leben.«
»Blödsinn.« Gerda Danzik drückte sich mit einem Ruck von den Sessellehnen ab. Sie steuerte auf ein Silbertablett mit Flaschen zu und goss sich einen Cognac ein. »Willst du auch einen?«
»Nein, danke. Ich geh dann mal.«
»Jetzt? Jetzt, wo ich grade knapp am Tod vorbeigeschrammt bin?«
Werner Danzik blieb noch zwei Stunden. Dann erlaubte ihm sein Gewissen zu gehen.
* * *
Regine Mewes hatte ihre Grippe überwunden. Sekundenlang hatte sie daran gedacht, dass die Krankheit auch etwas Gutes für sie haben könnte. Ausstieg aus dem widerwärtigen täglichen Pflichtprogramm, eine kleine Flucht- und Erholungspause, in der sie ihre Schwiegermutter nicht sehen musste. Aber sie hatte sich wieder mal verrechnet.
Es war Mittag, Regine wartete auf Dörte, als es klingelte. Wer konnte das sein? Dörte hatte einen Schlüssel, und die Post war schon durch. Sie sah durch den Spion. Ein Fremder. Groß, die Züge verschattet durch unkontrollierten Bartwuchs, dunkle Haare, die struppig in die Stirn fielen. Regine löste sich mit angehaltenem Atem von der Tür und wich mit lautlosen Schritten in die Diele zurück. Sie fuhr zusammen, als es noch einmal klingelte. Lang und heftig. Sie beschloss, sich nicht von der Stelle zu rühren, bis der Fremde gegangen war. Aber nun klingelte es wieder, drängend und wütend, ein paar Mal hintereinander. »Was ist denn da los? Warum machst du nicht auf?« Die rostige Raucherstimme kam aus Amalie Mewes’ Zimmer und musste bis nach draußen zu hören sein.
Der Fremde schien jetzt die Geduld zu verlieren. Mit lauten Schlägen hämmerte er in einem Stakkato gegen die Tür. »Ich weiß, dass ihr da seid. Mach die Tür auf!«
Regine zögerte noch immer. Aber nun wurden die Schläge härter und wilder. »Wenn du nicht sofort aufmachst, schlag ich die Tür ein!«
Er hatte ihren Namen nicht genannt, das tat er nie, sie war für ihn genauso Abschaum wie der Rest der Familie. Aber Regine hatte ihn erkannt. An der Stimme. Es war Norberts älterer Bruder Dieter.
Sie zog langsam die Tür auf. Sie wusste, dass es kein Entkommen gab, und so spielte es auch keine Rolle mehr, ob sie ihn bereitwillig oder unter Widerstand hereinließ. Dieter Mewes fiel leicht torkelnd in den Flur und hielt sich, immer noch weiterschwingend, an den Stäben des aufwärts führenden Geländers fest. »Na also, geht doch!« Er schwang nach vorn und sah ihr mit stierem Blick ins Gesicht. Eine Welle aus Alkoholdunst, Tabakpriem und stinkigem Schweiß schlug auf sie zu und trieb sie bis an die Wand zurück. Sie unterbrach das Atmen. Wagte nichts zu sagen und wartete, was geschehen würde. »Hä, das iss aber kein guter Empfang. Begrüßt man so den guten alten Didi?«
Regine starrte ihn an, auf der Hut, als
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