Abendkuss - Teil I
plötzlich sind sie trüb wie ein Tümpel.
„Glaubst du, dass er auf meine Party kommen würde? Vielleicht ist er ja tatsächlich ein Psychotyp, aber ein verdammt Süßer.“
Ich bin verwirrt, denn Loulou ist das, was man klassischer Weise einen Hund nennt, der zwar bellt, aber nicht beißt. Auch wenn sie ihre Klappe noch so weit aufreißt, steckt dahinter nur eine Fassade, hinter der ein schüchternes Mädchen verbirgt. Und gerade deshalb bin ich überrascht, dass sie mit der Tür ins Haus fällt. Aber sie scheint es diesmal ernst zu meinen. Loulou lacht und ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel, dass sie diesen Gedanken schnell wieder vergisst.
„Du hältst schön die Klappe!“, flüstere ich ihr zu und wage einen weiteren Blick. Sein Gesicht wirkt entspannt und es sieht so aus, als zuckt sein Mund ein wenig. Als verkneife er sich ein Lächeln.
6. Kapitel
Noah
Ich konzentriere mich mit aller Macht auf Louisa Feldmann, während sie sich mit Mia unterhält. Seit jener Nacht, in der mein Schicksal besiegelt wurde, studiere ich die Menschen und ihre Gewohnheiten, um sie zu verstehen. Die Mädchen sprechen miteinander und ich kann sie trotz der Entfernung deutlich verstehen. Meine Sinne sind außergewöhnlich stark ausgebildet. Manchmal etwas zu stark für meinen Geschmack. Es gibt Dinge, die ich wirklich nicht wissen möchte. Ich muss mir ein Lachen verkneifen, es würde mich verraten, dennoch bin ich amüsiert darüber, wie sie über mich sprechen. Die meisten Menschen ignoriere ich, an ihnen bin ich nicht im Geringsten interessiert. Mein Interesse gilt nur einer Sterblichen. Mia Sophie Winter.
Sie steht neben ihrer Freundin auf dem Schulhof und spielt nervös an einer rotbraunen Haarlocke, die sie sich um ihren Finger wickelt. Ihre Wangen erröten und sie wirft mir einen zaghaften Blick zu mir. Ich schmunzle, als ich höre, wie sie ein Stoßgebet zum Himmel schickt. Es ist wohl eine Ironie, dass Menschen in Gefahrensituationen dazu neigen, an uns zu glauben, obwohl wir ihnen niemals zur Hilfe eilen würden. Als würden wir auch nur eine Sekunde auf den Gedanken kommen, einem Menschen zu helfen oder gar zu beschützen. Warum sollten wir etwas beschützen, was wir abgrundtief verabscheuen? Natürlich gibt es Ausnahmen, auch unter uns Engeln. Aber ich gehöre nicht dazu. Für mich sind Menschen nichts anderes als eine lästige Begleiterscheinung meines täglichen Seins.
Einen Moment bin ich meinen Gedanken verfallen, dass es mich davon abhält, dem Gespräch der Mädchen zu lauschen. Ich sehe, wie Mia sich umdreht und die Treppen hinauf zum Schulgebäude läuft. Während sie im Gebäude verschwindet, wird meine Welt von grauen Schlieren überzogen, die mich regelrecht erschaudern lassen. Aber obwohl die Sonne am Zenith steht und ich gerade eine Mahlzeit zu mir nehme, frage ich mich, warum mir diese Welt, in der ich seit Jahrtausenden gefangen bin, in diesem Augenblick trist und trostlos erscheint. Gerade als ich noch immer darüber sinniere, überquert Louisa Feldmann die Straße und steuert direkt auf mich zu.
„Hi“, sie lächelt und ich höre, wie ihr Herz ins Stolpern gerät. Ihre Augenlider zucken unregelmäßig und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie gerade an ihrer eigenen Courage zweifelt, doch ihre Neugier scheint zu siegen.
„Ich heiße Louisa.“ Sie streckt mir ihre Hand entgegen. Ich rühre mich nicht und denke noch nicht einmal im Traum daran, ihre Hand zu berühren.
„Ja?“ Ich frage mich, was sie von mir möchte. Hätte ich vorhin nur etwas besser zugehört. Nervös zieht sie ihre Hand zurück.
„Ich wollte dich zu meiner Valentinsparty einladen. Kommenden Samstag. Bei mir zuhause.“ Daher weht der Wind. Erleichtert atme ich auf. Mein Plan funktioniert.
„Du möchtest mich zu einer Party einladen?“ Wie leichtfertig und naiv die Menschen mit ihrem Leben umgehen.
„Meine Freundin sagt, du hättest heute Nacht vor ihrem Fenster gestanden und sie findet dich süß. Da dachte ich mir, vielleicht hast du ja auch Lust zu kommen. Je mehr Leute kommen, desto besser.“ Sie lächelt und ich weiß, dass die Worte ungewollt aus ihrem Mund sprudeln. Lucas hat seine Arbeit verdammt gut gemacht. Er ist ein Meister darin, Menschen zu manipulieren. Obwohl er selbst in meinen Augen dafür oft sehr grausam ist. Seit Lucas unter uns weilt, ist die Selbstmordrate unter den Menschen in den letzten
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