Abendkuss - Teil I
nicht erzählt?“ flüstere ich.
„Ich wollte es dir ja sagen, aber mir hat immer der richtige Zeitpunkt gefehlt. Du hattest so viele andere Sorgen, da wollte ich dich nicht noch damit belasten.“
„Aber Leah hat es gewusst“, ich sehe nicht zu ihr hinüber, sondern funkle meinen Vater wütend an.
Er nickt und presst seine Lippen zusammen. Leahs Gesicht glüht vor Freude, als sie sich zu mir herüberbückt.
„Papas Liebling ist ja dann wohl passè, nicht wahr?“ flüstert Leah und ich bin mir sicher, dass Paps sie nicht gehört hat.
„Es tut mir leid“, höre ich Anna sagen, aber ich ignoriere sie und stehe so schnell auf, dass mein Stuhl zu Boden fällt.
„Ich glaube, ich gehe wohl besser.“ Paps steht auf und hält mich am Arm fest.
„Nicht Mia. Verdirb uns nicht den Abend. Sag mir, was ich hätte tun sollen?“
„Wie wäre es zur Abwechslung mal mit der Wahrheit gewesen?“ Die Wahrheit. Damit nehme ich es auch nicht so genau, sonst würde ich Paps erzählen, was in der Nacht wirklich geschehen ist.
Er schüttelt den Kopf und Anna steht einfach nur da wie ein begossener Pudel, während Leah zufrieden vor sich her summt. Ich nehme meine Tasche, drehe mich um und verlasse das Restaurant.
Als ich draußen ankomme, kämpfe ich mit den Tränen.
8. Kapitel
Noah
Die Dunkelheit frisst die Nacht auf, als ich meine Runden durch die Stadt drehe. Leere Straßen, ungewöhnlich für diese Uhrzeit, noch ungewöhnlicher für diese Stadt. Aus der Ferne höre ich den dichten Verkehr aus der Innenstadt. Die Sirene eines Krankenwagens, den Gesang betrunkener Männer nach einem gewonnenen Fußballspiel, das Hubkonzert am anderen Ende der Stadt. In Schrittgeschwindigkeit fahre ich die Seitenstraße entlang, biege rechts ab, vorbei an einer Autowerkstatt und einem Tante-Emma-Laden, der bereits vor einiger Zeit den Platz für eine der Supermarktketten räumen musste. Nach einigen Metern erreiche ich die Pizzeria La Musica vor der ein alter Mann steht. Die Pfeife, die er in der Hand hält, qualmt langsam vor sich hin.
Da sehe ich sie.
Ihre Augen funkeln im Gebüsch wie Rubine. Katzenartig streift sie weiter, verharrt einen Moment als lausche sie dem Wind, bevor sie die Dunkelheit verschluckt. Sie scheint mich nicht bemerkt zu haben. Einen Moment blicke ich ihr nach, jede unüberlegte Handlung könnte sie verschrecken. Zu viele Jahrhunderte bin ich bereits auf der Suche nach Lilith, sodass es auf weitere Tage nicht ankommt. Ich kenne meine Aufgabe. Lilith ist eine tickende Zeitbombe, die jeden Moment explodieren kann.
Plötzlich durchdringt ein Schluchzen die Stille und noch ehe ich Lilith folgen kann, stürmt Mia aus der Pizzeria. Tränen laufen ihr über die Wangen. Tränen wie Tautropfen, die im Mondlicht schimmern.
Hat sie sich verletzt? Hat
ihr jemand wehgetan?
Eine Woge gemischter Gefühle durchströmt meinen Körper.
Traurigkeit. Sehnsucht. Qual. Wut. Verlangen.
Kein Mensch auf dieser Welt ist in der Lage, derart viele Gefühle auf einmal zu empfinden ohne dabei in tausend Stücke zu zerspringen. Ich presse die Augen zusammen, um halbwegs einen klaren Gedanken fassen zu können. Als ich sie wieder öffne, ist Mia verschwunden.
Als hätte die Dunkelheit meinen Verstand vernebelt, wird mir viel zu spät bewusst, was sie vorhat. Ohne sich noch einmal umzudrehen, läuft sie die Straße hinab, geradezu in die Arme von Lilith. Panik überkommt mich. Wenn Lilith sie erwischt, ist alles zerstört. Ich kann nicht zulassen, dass mein Plan durchkreuzt wird.
Ich muss einen Weg finden, Mia zu retten. Um sie töten zu können.
9. Kapitel
Mia
Du.
Wer bist du?
Wo bist du?
Kann ich dich finden oder findest du mich?
Was geschieht, wenn ich nicht gefunden werden möchte?
Lässt du mich alleine?
Oder kommst du, um mich zu holen?
Du wirst mich nicht finden. Ich habe mich verloren.
„Verlust“ Gedicht Nr. 18
In diesem Moment, während ich allein durch die Straßen laufe, schiebt der Mond die Wolken beiseite und kommt hervor. Sein Licht spiegelt sich auf den Regenpfützen der Straße. Es ist ein innerer Drang, der mich antreibt, einfach weiterzulaufen und nicht stehen zu bleiben. Mit aller Kraft versuche ich die Tränen
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