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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Gedanken gewöhnt, daß er wohl keine feste Bindung mehr eingehen werde. »Ich habe mich zu einem fanatischen Verlierer entwickelt, zu einem Verehrer der Niederlage sozusagen. Und damit bin ich modern. Moderner, als ich aussehe jedenfalls. Besteht die Tragödie unseres Jahrhunderts nicht gerade darin, daß die Menschen einfach nicht einsehen wollen, daß man nicht leben kann wie Jeanne d’Arc oder Garibaldi oder Ivanhoe, daß man nicht wie General Queipo de Llano herumrennen und rufen kann: Es lebe der Tod? Unser gemeinsamer Freund – ›And were I any thing but what I am, I would wish me only he‹ – hat mir damals arge schmerzhafte Sorgen bereitet. Jake hat sich einem dazzled devil angeschlossen. Der hieß Bob Le Bon, stammte aus Louisiana, hatte eine prächtige Plantagenfamilie im Hintergrund und war der Mercutio von Greenwich Village. Aber Jake war nicht stark genug für diesen blendenden Teufel, der sich aufführte, als wäre Giacomo Leopardi in einen Roman von Walter Scott geraten, ich konnte ihn nicht ausstehen, er wollte immer und überall tanzen, chorea hysterica rhythmica , und mir trampelte er auf den Füßen herum, und in jedem Thema vertrat er die führende Meinung, nur Phrasen. Wie ich diesen Kerl noch immer hasse! Nachdem ich Jake fast zwei Monate lang nicht mehr gesehen hatte, saß er eines Tages wieder in meiner Küche, ziemlich blaß, ziemlich dünn, ausgetanzt und realistisch, und mir blieb nichts anders übrig, als ihm zu geben, was ich selbst mein Leben lang gehofft hatte und immer noch ein wenig hoffe, daß es mir einer gibt, nämlich Trost. Am nächsten Tag ist er auf und davon. Schaute erst fünf Jahre später wieder vorbei, um amerikanischer Staatsbürger zu werden. Und erst nach weiteren fünf Jahren sahen wir uns wieder in Nürnberg.«
    Ich bin nur eine Woche in New York geblieben. An meine Dissertation hatte ich keinen Gedanken mehr verschwendet. Ich hatte mir ein in Leder gebundenes Notizbuch aus Österreich mitgenommen, aber alles, was ich mir aufgeschrieben hatte, waren ein paar Telefonnummern und Adressen. Auch die von Maybelle Houston, die mir Abe bei einer Streetworker-Party in Brooklyn vorgestellt hatte. Als ich sechs Jahre später wieder nach New York kam – diesmal mit der felsenfesten Absicht, in Amerika zu bleiben –, lebte Abraham Fields nicht mehr. Da rief ich bei Maybelle an. Die Geschichte ist zu groß, um sie an dieser Stelle zu erzählen. Maybelle Houston benötigt ein eigenes Kapitel, und wohl mehr als das …
    Abraham brachte mich zum Kennedy Airport. Bevor ich durch die Paßkontrolle ging, überreichte er mir eine Plastiktüte. Darin waren, in einen Kopfkissenüberzug gewickelt, die drei Schallplatten mit der Aufnahme von Norma , aus denen wir an jedem Abend Ausschnitte gehört hatten.
8
    Frau Mungenast, die Kapuze ihres Mantels über dem Kopf, wartete auf dem Weg vor dem Haus. Sie hatte uns durch den Wald vom See heraufkommen sehen. Erst fragte sie nach meinem Befinden, dann nach Carls. Sie zog den Rollstuhl über die Stufen zum Haus hinauf, im Flur half sie Carl aus den Kleidern und hob ihn in den Zimmerstuhl.
    »Wie war’s denn?« fragte sie.
    »Er hat sich leider ziemlich ungeschickt angestellt«, sagte Carl.
    Frau Mungenast erschrak, sie warf mir einen Blick zu, in dem war Empörung, und ich fühlte mich verpflichtet, ebenfalls empört zu sein. Ich sagte: »Weißt du was!« und dachte: Leck mich am Arsch!, knallte die Flurtür zu und lief nach draußen und über die Treppe zum Weg und den Weg hinunter zur Lanserbahn, und weil die gerade daherkam, stieg ich ein und stieg erst mitten in Innsbruck bei der Endstation in der Maria-Theresien-Straße wieder aus.
    Während der Fahrt hatte mein Handy geklingelt. Ohne hinzusehen, wer es war, hatte ich es abgeschaltet. Ich ging zum Hotel Central, nahm ein Bad und legte mich ins Bett. Ich hatte C.J.C. 4 bei mir, das Heft hatte ich auf unseren Spaziergang mitgenommen, ich hatte mir ja Stichworte notieren wollen, die krokantartige Affäre betreffend. Jetzt schrieb ich meine Wut nieder.
    Irgendwann, es war bald Mitternacht, rief der junge Mann von der Rezeption an und sagte, eine Frau Mungenast wolle mich in der Halle sprechen. Ich zog mich an und fuhr mit dem Lift hinunter.
    »Er ist der feinste Mensch, den ich je kennengelernt habe«, sagte sie, »für keinen anderen Patienten würde ich so etwas tun.« Carl habe mit ihr gewettet, daß ich im Central abgestiegen sei; und er hatte sie gebeten, mich zu holen. Ihre Haare

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