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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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sich, und schließlich drehten sie um und kehrten zum Naschmarkt zurück, der ja tatsächlich eine Attraktion ist. Der Fahrer des Möbelwagens schlug die Hecktüren zu, hob die Arme zu einer Geste, die Dankeschön meinen konnte, und stieg ins Führerhaus. Der Mann im BMW reichte der Frau nun auch seinen Teil der Zeitung hinüber, tauschte abermals die Brillen und legte den Gang ein. Als sich Abraham Fields am Kennedy Airport von mir verabschiedete, hatte er mich umarmt und mir dabei ins Ohr geflüstert: »Lassen Sie es bleiben!« Und als ich ihn fragte, was ich bleiben lassen soll, hatte er gesagt: »Die Geschichte mit Seyß-Inquart.« Das fiel mir ein. Abe und Robert hätten sich gut verstanden. Abe wäre von Roberts Art der Gesprächsführung ebenso fasziniert gewesen, wie es offensichtlich mein Sohn war. Als ich vor längerer Zeit Robert erzählte, daß ich irgendwann beabsichtigt hätte, über Seyß-Inquart zu dissertieren, hatte er etwas Ähnliches gesagt wie Abe. »Sei froh, daß du es nicht getan hast. Die allerbesten Absichten nützen nichts. Bei so etwas kommt immer Heldenverehrung heraus. Es mag ja notwendig sein, daß ihr eure Schurken ins Schaufenster stellt, man soll die Täter ja nicht vor der Welt verstecken. Aber wenn sie im Schaufenster stehen – schwupp! –, sind sie Helden.« Ich hatte gesagt: »Warum unsere Schurken? Seyß-Inquart ist nicht mein Schurke.« Jahre vorher hatte Abe gesagt: »Es ist doch besser, man wirft euch vor, ihr habt es verabsäumt, die Seele dieser Verbrecher zu studieren, als daß gesagt wird, ihr errichtet wissenschaftliche oder literarische Denkmäler.« Ich überquerte den kleinen dreieckigen Platz vor dem Café, wohin Herr Staub, der Besitzer, die dunkelgrünen Metalltische und -stühle stellen wird, wenn sich das Wetter weiter hielte. Die lange Schaufensterfassade vis-à-vis gehört zu einem Lampengeschäft, in dem gute Stücke von den zwanziger bis zu den siebziger Jahren des eben erst vergangenen Jahrhunderts angeboten werden; aber auch extravagante Möbel, zum Beispiel stand bis vor kurzem ein mannshoher, mit Leopardenfellimitat überzogener Stöckelschuh in der Auslage, der mit »Lehnstuhl« angeschrieben war und tatsächlich einen Käufer fand. Das Geschäft hat den schönen Namen Lichterloh. Ich kenne die Besitzerin recht gut, sie setzt sich manchmal zu Robert und mir und frühstückt mit uns. Robert hält sich vor ihr mit seinen Witzen zurück, sie lacht sehr laut, und das ist ihm unangenehm. Ich mag das. Sie ist klein und mollig und hat einen mächtigen Busen, an den ich in der letzten Zeit oft gedacht hatte. Wenn ich mit ihr allein im Café bin, erzählt sie von ihren Sorgen mit den Männern, die kommen und gehen, meistens verheiratet sind, oft viel Geld haben, manchmal grob sind und nur selten länger als ein paar Nächte bei ihr bleiben. Robert behauptet, der Name Lichterloh stamme von ihm, sie verdreht die Augen und ruft in den Himmel hinauf, das sei ein Blödsinn. Ich glaube Robert. Einmal verkündete er, er habe einen so tollen Namen für ein kleines Speiselokal, daß er sich ohne Witz überlege, eines zu eröffnen – Kost-Bar. Wem so ein Name einfällt, dem fällt auch Lichterloh ein. Das Geschäft hat samstags geschlossen, weil die Besitzerin unten beim Flohmarkt schaut, ob es etwas Interessantes zu ergattern gibt, das man herrichten, mit einer Geschichte ausstatten und mit saftigem Profit weiterverkaufen kann. Ich suchte Dagmars Nummer auf dem Speicher meines Handys, ließ es tuten, bis ihre Stimme sagte, Dagmar Lukasser sei im Augenblick nicht zu erreichen, man solle es später noch einmal versuchen. Nach dem Piep-Ton redete ich auf die Mailbox, bemühte mich, meine Stimme möglichst natürlich klingen zu lassen – ich wolle mich nur kurz melden, die Nacht sei völlig problemlos verlaufen, David habe bis um zehn geschlafen, im Augenblick säßen wir im Kaffeehaus, er sei guter Laune, sie solle sich keine Sorgen machen. »Er weiß natürlich nicht, daß ich mit dir telefoniere. Denk heute nur an dich und an sonst nichts! Du kannst dich auf mich verlassen. Ich rufe in der Nacht noch einmal an. Leg dein Handy neben das Kopfkissen.« – Und was werde ich ihr sagen, wenn David bis zum Abend auf und davon ist?
    Als ich das Café wieder betrat, sah ich David, weit über den Marmortisch gebeugt, mit Robert sprechen. Er hatte seinen Mantel ausgezogen und auf meinen Sessel gelegt. Seine Arme schimmerten, so weiß waren sie. Ich blieb beim Zeitungstisch

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