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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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nicht zu lang –, ging es mir hinterher, trotz Zerknirschtheit und dem Verlangen nach Läuterung, eindeutig besser.
    Das folgende Gespräch zwischen Robert und David fand an diesem Samstag mittag im Café Sperl statt:
    Robert: »Ich bin Jude. Stört Sie das?«
    David: »Nein, natürlich nicht.«
    »So etwas darf man nicht fragen?«
    »Doch, natürlich darf man so etwas fragen.«
    »Aber es ist nicht geschickt, denken Sie.«
    »Wieso geschickt?«
    »Wenn man etwas rauskriegen will, meine ich.«
    »Bei mir gibt es diesbezüglich nichts rauszukriegen.«
    »Ich bin für Apartheid zwischen Juden und allen anderen, müssen Sie wissen. Ich plädiere für zwei Formeln der Begrüßung aller Menschen auf dieser Erde. Entweder: Ich bin Jude, stört Sie das? Oder: Ich bin kein Jude, stört Sie das? Was halten Sie davon?«
    »Ich glaube nicht, daß ich darüber nachdenken möchte. Ich glaube nämlich, Sie meinen das nicht ernst.«
    »Überlegen Sie: Auf diese Weise würden solche, die Juden nicht mögen, erst gar nicht in Kontakt zu Juden kommen. Das gleiche gilt für Juden, die keinen Kontakt zu Nichtjuden haben wollen. Und solche, die nichts gegen Juden haben, müßten nicht überlegen: Ist er ein Jude und meint womöglich, ich hätte etwas gegen Juden, oder ist er kein Jude und meint, ich sei Jude, und er hat etwas gegen Juden, oder er meint, ich hätte etwas gegen Nichtjuden? Durch meine Formel würden Argwohn und unnötige Ablenkung von dem eigentlichen Thema, über das sich zwei Menschen unterhalten wollen, von vornherein gar nicht aufkommen. Was meinen Sie?«
    »Ich habe noch nie, wenn ich mit jemandem geredet habe, darüber nachgedacht, ob er ein Jude ist oder nicht.«
    »Aber woher wissen Sie, ob Ihr jeweiliger Gesprächspartner nicht darüber nachdenkt?«
    »Hundertprozentig genau weiß ich das natürlich nicht. Ich kenn’, glaub’ ich, gar keinen Juden. Aber warum sollte zum Beispiel in China jemand jemanden fragen, ob jemand anderer ein Jude ist.«
    »Nicht fragen, ob er ein Jude ist! Sagen: Ich bin einer oder ich bin keiner, es stört mich, wenn Sie einer sind, oder es stört mich nicht, wenn sie einer oder wenn Sie keiner sind. Das ist ein Unterschied. Glauben Sie, in China gibt es keine Juden?«
    »Das weiß ich doch nicht. Ich war noch nie in China. Außerdem glaube ich, alle Menschen sind gleich. Jedenfalls sollte man alle gleich behandeln.«
    »Ich glaube das nicht. Und auch wenn Sie sagen, Sie glauben das, denken Sie weder so, noch handeln Sie danach in Ihrem alltäglichen Leben.«
    »Woher wollen Sie das wissen, bitte?«
    »Sonst würden Sie in den gleichen Worten mit Ihrem Vater sprechen, wie Sie mit mir sprechen. ›Ich bin‹ heißt zunächst ›Ich bin anders‹. ›Alle sind gleich‹ heißt also ›Keiner ist, wie er ist‹. Aber es möchte doch keiner so sein, wie er nicht ist. Geben Sie mir recht? Die Ungleichheit zwischen einem Juden und einem Nichtjuden hat, von der Beschnittenheit des Juden abgesehen, kein verläßliches, sinnlich wahrnehmbares Merkmal. Rein äußerlich unterscheidet sich Moses nicht sonderlich von den Ägyptern, Judas Makkabäus nicht von den Griechen, Bar Kochba nicht von den Römern und Robert Lenobel nicht von Jörg Haider. Also sollte man gleich zu Beginn jedes Kommunizierens, am besten in eine Begrüßungsformel verpackt, die sich jeder leicht merken kann, darauf hinweisen: Ich als Jude bin anders als Sie, der Sie ein Nichtjude sind. Und umgekehrt.«
    »Genau das wäre rassistisch, denke ich.«
    »Spinnerei, was Sie da sagen! Ob Sie so denken, bezweifle ich erneut. Das haben sich eure nichtjüdischen altlinken Achtundsechziger ausgedacht. Uns Juden haben das unsere jüdischen altlinken Achtundsechziger beibringen wollen. Zu welchem Zweck aber? Damit jeder nach außen hin so tue, als gäbe es keine Unterschiede. Im Inneren aber denkt man sich, es muß doch welche geben, es kann die Geschichte nicht so ein meschuggenes Ding sein, das über Jahrhunderte ein Pogrom nach dem anderen aufführt, ohne daß es einen Grund dafür gäbe?«
    »Auch auf die Gefahr hin, daß ich jetzt nachplappere, was mir jüdische oder nichtjüdische Achtundsechziger vorgeplappert haben: Wenn einer sagt, es gibt einen Grund dafür, daß es immer Verfolgungen gegeben hat, so meint er doch in neunzig Prozent der Fälle, die Juden haben selber Schuld.«
    »Ja, Sie plappern tatsächlich nach. Sie plappern nach, aber Sie denken nicht nach. Wenn die Kuh nicht wie der Ochs ist, ist ja auch nicht die Kuh

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