Abendland
sie unter gar keinen Umständen eine Ausnahme sein wollte, sich im Gegenteil vor nichts mehr fürchtete, als eine Ausnahme zu sein. Robert sagt, er benötige nicht mehr als einen Blick, um zu wissen, daß diese Frau vor dem Spiegeltisch einen ganzen Roman an Vorgeschichte in ihr Gesicht einarbeite; sie sei zweifellos eine Besonderheit, aber daß sie davon nichts wisse oder davon nichts halte, das bilde ich mir ein.
David hatte sich bereits in sie verliebt. Und sie sich in ihn. Wenn ich sie so nebeneinander beim Herd stehen sah, wußte ich, wenn er nur einen Tag allein mit ihr verbrächte, wäre seine Seele gesund, an welcher Krankheit sie auch leiden mochte. Mir kam sogar der Gedanke, nun endlich hätte ich die Antwort gefunden auf die zentrale Frage unserer Beziehung, nämlich: Was um Himmels willen findet sie an mir? Vielleicht hat sie dank ihrer magischen Fähigkeiten, über die sie zweifelsfrei verfügte, im Vater den Sohn erkannt, noch ehe sie über den Sohn mehr wußte, als daß es ihn gab.
Der andere, der sich ebenfalls in Evelyn verliebt hatte, nämlich der junge hübsche Engländer, stand plötzlich in der Küche. Über Davids Augen huschte ein Schatten. Ich legte meinen Arm um den Eindringling und schob ihn aus der Küche hinaus, und es blieb ihm keine andere Wahl, als Konversation zu machen:
Er: »Evelyn told me you’re a writer. Well, I’m a reader. What is your favorite book?«
Ich: »You are the guest here! It is my honor to ask you about your favorite book.«
Erst tat er, als ob er überlegte, dann tat er, als ob er selbst überrascht wäre: » Wuthering Heights by Emily Brontë.«
»That’s quite a devil of a book.«
»Unfortunately, I can’t come up with a quote from it, to show off.«
»I believe books are jealous demons. As soon as I mention one of them, the others get together against me.«
Er nickte, als wären wir beide Geisteszwillinge, hob zwei Finger zum Gruß an seine Schläfe, wie es Lauren Bacall in The Big Sleep tut, wenn Humphrey Bogart das Spielcasino betritt, und steuerte auf den Sportreporter zu, der beim offenen Fenster stand und eine Virginia rauchte. Weil ich die Bacall-Geste so gut von Evelyn kannte (»Glaubst du tatsächlich, so eine Handbewegung wächst aus der Naivität?« hätte Robert gefragt), dachte ich nun endlich das Naheliegende, nämlich: Der ist bereits ihr Liebhaber. Das hörte man doch immer wieder, daß sich Leute Partner suchen, die ihnen ähnlich sehen – John Lennon und Yoko Ono, Brian Jones und Anita Pallenberg, Mick und Bianca Jagger. Später erzählte mir Evelyn, sie habe ihn an diesem Abend zum erstenmal gesehen, er sei ein Freund eines ihrer Arbeitskollegen und aus Birmingham zu Besuch gekommen, und ihr Arbeitskollege hätte ihn mitgebracht, weil er ihn nicht am ersten Tag gleich allein lassen wollte. »Und um ihn mit dir zu verkuppeln«, ergänzte ich. »Das kann schon sein«, antwortete sie und blickte mich dabei ernst an.
Evelyns Schlafzimmer liegt gleich neben der Eingangstür, es ist ein winziger Raum mit einem Fenster in einen Innenhof, in dem ein chinesischer Essigbaum wächst. Ein großes Doppelbett und ein Schrank stehen in dem Zimmerchen, mehr nicht. Es war abgesperrt. Als alle das Gulasch gegessen hatten, bat ich Evelyn, mir den Schlüssel zu geben. »Die letzten Tage waren für mich, als hätte ich mitten in einer Explosion gesteckt«, sagte ich.
»Du bist eben wieder ins Leben zurückgekehrt«, sagte sie. »Das ist gut. Möchtest du, daß ich mit dir komme?«
»Ich will mich nur eine Viertelstunde ausruhen«, sagte ich. Ich sah mich nach David um. Er unterhielt sich mit dem Engländer. Die Kandidaten mit den besten Aussichten, dachte ich. »Ja, komm mit mir!«
Sie sperrte hinter sich zu und zog das T-Shirt über den Kopf. Die dunklen Ringe auf ihren Brüsten blickten mich an, und ich wußte, ich würde es können, aber ich sagte: »Ich weiß nicht, ob ich es kann.«
»Das wird sich zeigen«, sagte sie und zog Jeans und Slip in einer Bewegung aus.
Sie legte sich rücklings aufs Bett und streckte mir ihre Arme entgegen. Als ich ihren Bauch berührte, die zarte braune Haut dort, dachte ich mit der Schadenfreude dessen, der keine gute Eigenschaft mehr braucht, weil man keine mehr bei ihm vermutet: Nach vier Tagen bereits betrüge ich Dagmar. Evelyn griff mit beiden Händen nach unten und faßte meinen Penis, und ich spürte, wie er sich mit Blut füllte und fest wurde. Als ich Dagmar erst einen Monat kannte, das war nach unserem
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