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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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ersten größeren Streit gewesen, hatte ich sie tatsächlich betrogen; nur dieses eine Mal, später nie wieder. Ich besuchte eine Studentin, die in einem meiner Tutorien bei den Historikern gewesen war, ich erinnere mich nur wenig an sie, Vera hieß sie, sie hatte ein niedliches Mausgesicht mit einer kleinen kessen Hakennase und hatte sehr blondes, glattes und langes Haar. Ich war schon einmal bei ihr in der Dachkammer gewesen, in der es nur schräge Wände gab, auch damals war ich niedergeschlagen gewesen, ich nehme an, das hatte mit meinem Vater zu tun gehabt, weil es bald nach seinem Tod gewesen war. Hinterher hatte sie zu mir gesagt, wann immer es mir nicht gutgehe, sei sie für mich da. Ich hatte das für ein sonderbares Versprechen gehalten – ich bezahle für Sex, und meine Währung heißt Verzweiflung. Und dann stand ich wieder vor ihrem rotgestrichenen Bett, das mehr nach einem Trampolin in einem Kinderladen aussah, und sagte, es gehe mir nicht gut, und wir zogen uns aus, als wäre ich bei ihr in Behandlung, und schliefen miteinander, und ich steckte ihr den Finger in den Arsch, weil ich dachte, sie erwarte sich etwas in der Art des Letzten Tango von Paris , wo ja auch ein Verzweifelter im Sex seinen Trost sucht. Sie hat mich über die Treppe nach unten gebracht und mich über ihre verschmierten Lidschatten hinweg angesehen, als könnte eines Tages etwas aus uns werden. Zu Hause fragte mich Dagmar: »Woher kommst du?«, und ich antwortete: »Ich habe mit einer früheren Freundin geschlafen, die Vera heißt.« Sie weinte, zog den Mund nach unten wie ein Kind. Als hätte ich eine Lore voll Elend über sie ausgeschüttet. Sie war fassungslos. Weil sie solche Sachen zu mir gesagt habe, so meine klägliche Argumentation, sei ich der Meinung gewesen, sie liebe mich nicht mehr, sonst hätte ich es nicht getan. Sie drückte den Kopf in ein Kissen und weinte noch mehr und rief dabei immer wieder: »Es tut so weh, es tut so weh!« Ich kam mir vor wie ein Schwerverbrecher, und das war ich auch und obendrein einer, der sich mit der dümmsten Ausrede verteidigte. Wir gehörten zusammen, und ich hatte angefangen, das kaputtzuschlagen. – Als es mir kam, schlang Evelyn ihre Arme um meinen Kopf, und ich dachte, daß es immer eine Lüge ist zu sagen, man sei stolz auf seinen Körper, wenn der nichts anderes gebracht hat, als den von der Natur höchstselbst aufgestellten Erfordernissen zu entsprechen. Wahrscheinlich wäre ich stolz auf meine Erektion und meinen Orgasmus gewesen, wenn die Erektion nur halb und der Orgasmus nur vorgetäuscht gewesen wären und ich vor Erschöpfung nach Luft gerungen hätte. Aber die Erektion war, wie sie vor der Operation gewesen war, und der Orgasmus war heftig, und beides hatte sich ohne großen Aufwand eingestellt. Meine Sorge zog sich in wenigen Sekunden restlos von diesem Feld zurück und galt nun allein meinem und Dagmars gemeinsamen Leben, das zwar nur in einem Tagtraum existierte, das mir dort aber, gleichsam als meine zweite Chance, zur Obhut übergeben war; wo ich es nachts am Telefon entweder bewahren oder ein zweites Mal zerstören konnte.
    »Willst du gar nicht wissen, wie es für mich war?« sagte Evelyn. »Das fragst du doch sonst immer.«
    Statt dessen fragte ich undankbarer Mensch: »Hast du die beiden getroffen?« Sie drehte den Kopf etwas zur Seite und drückte ein Auge zu. »Deine beiden Liebhaber«, präzisierte ich – gar nicht überflüssigerweise, denn offensichtlich hatte sie nicht verstanden, was ich meinte. Ihre Miene zeigte keinen Kommentar. Da war nicht das geringste Anzeichen des Gedankens, daß ich eifersüchtig sein könnte; sie fürchtete nicht, ich sei es, sie hoffte nicht, ich sei es. Sie nickte nur.
    »Das heißt, du hast sie getroffen?«
    Sie nickte. Dann sagte sie: »Du machst einen Film daraus.«
    Vor der Schlafzimmertür hockte Pnini, ich wäre fast über sie gestolpert. Ich bückte mich zu ihr nieder, streichelte ihr graues Tigerfell, begutachtete ihren schönen Bauch, hielt ihr, wie ich es immer tat, die Faust hin, und sie boxte mit ihrer Schläfe dagegen und schnurrte.
    David war nicht mehr da. Der Engländer sagte, er habe sich verabschiedet, bald nachdem Evelyn und ich im Schlafzimmer verschwunden seien.
8
    Näheres wußte niemand. Der Sportreporter sagte, David habe sich mit ihm über die große Zeit des Carl Lewis unterhalten. Der Engländer sagte, er habe sich mit ihm über den Islam unterhalten. Sonst hatte keiner mit ihm gesprochen. Ich gab

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