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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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hatte. Als wäre dort die entscheidende Abzweigung in unserem Leben gewesen. Vor zwanzig Jahren war mein Vater aus Amerika zurückgekehrt, und von diesem Zeitpunkt an waren wir den falschen Weg gegangen. Meine Mutter versuchte auf ihre Weise eine Korrektur; ich hatte es auf meine Weise versucht.
    Suka hatte das Fressen verweigert. Sie war in einem erbärmlichen Zustand. Sie hatte sich das Fell an den Pfoten zerbissen, die Haut darunter war wund, an manchen Stellen eitrig. Ihre Augen waren trüb. Als ich vor ihr stand, erhob sie sich mühsam, wartete, bis ich mich zu ihr niederbeugte, dann erst wedelte sie mit dem Schwanz. Ich glaube, wenn ich zwei Tage oder drei Tage früher gekommen wäre, sie hätte ihre Sprünge vollführt, die aussahen, als wäre sie in die Luft geworfen worden; jetzt winselte sie bloß – nicht weil sie zu schwach zum Springen gewesen wäre, sondern weil ihr Mut und ihre Freude gebrochen waren. Sie fand nicht mehr aus dem Schmerz heraus. Lenny und Toni waren verzweifelt – und auch zornig auf mich. Ich hätte das voraussehen müssen, meinten sie – ein Tier, das dermaßen auf einen einzigen Menschen fixiert sei.
    Ich erkundigte mich telefonisch bei den Zollbehörden, womit bei einer Ausreise zusammen mit einem Hund gerechnet werden müsse. Genau Bescheid wußte niemand. Sicher war, daß ich eine Bestätigung eines Tierarztes brauchte; der Hund müsse auf jeden Fall gegen alle möglichen Krankheiten geimpft werden. Ohne diese Bestätigung dürfe er das Flughafengebäude nicht einmal betreten. Unmittelbar vor dem Abflug bekomme er ein Beruhigungsmittel gespritzt, anschließend werde er in einen Käfig gesperrt. Wie groß der Käfig sei, fragte ich. Nicht groß genug, daß er sich darin umdrehen könne, hieß es. Die Ausreisebedingungen waren soweit klar; über die Einreisebedingungen in Österreich lagen bei den Zollbehörden am Flugplatz von Bismarck keine gesicherten Bestimmungen vor. Ich solle mich an ein österreichisches Konsulat wenden. Beim Konsulat in New York meinte ein freundlicher Herr, es sei sehr wahrscheinlich, daß mein Hund nach der Ankunft in Wien in Quarantäne genommen werde. Für wie lange, fragte ich. Bis zu drei Wochen. Daraufhin erkundigte ich mich bei der Schweizer Botschaft, wie es die Schweizer Behörden mit einreisenden Hunden hielten. Ich dachte nämlich so: Ich fliege nach Zürich, fahre mit dem Zug bis zur Grenze und schleiche mich bei den Baggerlöchern des Rheins nach Österreich hinüber; ich kannte die Gegend, es würde kein allzu großes Risiko sein. Die Einreise mit Hund in Zürich war allerdings nicht weniger scharf geregelt als in Wien. Ein Tierarzt, hieß es, werde am Flughafen entscheiden, ob der Hund in Beobachtung genommen werde oder nicht. Wie wahrscheinlich es sei, daß er in Beobachtung genommen werde, fragte ich. Das konnte mir die Dame bei der Schweizer Botschaft in New York nicht beantworten.
    Schließlich schien mir die einzige Möglichkeit, Tadeusz Zukrowski zu fragen, ob er für Suka einen neuen Platz wisse. Ich würde so lange noch hier bleiben, bis sie sich eingewöhnt habe; und falls sie sich gar nicht eingewöhne, werde ich sie wieder zu mir nehmen. Ich rechnete nicht damit, daß er mir helfen würde. Aber ich irrte mich. Er gab sich sehr verständig. Ins Haus bat er mich freilich nicht. Wir verhandelten auf dem morastigen Platz vor der Scheune. Wenn es allein nach ihm ginge, sagte er, würde er auch lieber heute als morgen abreisen und nach Polen zurückkehren. Ich solle den Hund getrost bei ihm lassen. Er würde sich um die beste Lösung kümmern.
    Suka wehrte sich. Ich zerrte sie aus dem Fond des Toyota, sie schnappte nach mir, ich war grob zu ihr, sprang auf den Fahrersitz und fuhr davon, raste über den Freeway bis zur Grenze nach Montana, brüllte gegen den Motor an. Nach drei Stunden kehrte ich nach Hause zurück.
    Suka lag auf der Veranda. Sie war tot. Mund und Nase waren blutverschmiert, wo das linke Auge gewesen war, klaffte ein Loch. Zukrowski hatte ihr in den Kopf geschossen und den Kadaver vor mein Haus geworfen.
    Ich holte das Gewehr. Ich wollte ihm die Mündung gegen die Stirn hämmern, bis dort auch so ein schwarzes Loch war. Sollte sich bei dieser Gelegenheit ein Schuß lösen, dann hätte sich bei dieser Gelegenheit halt ein Schuß gelöst. Als ich sein elendes Haus vor mir sah, schlug ich mit der Faust auf die Hupe. Der Jeep schlitterte über den Hof und stellte sich quer. Ich sprang heraus und rief, er soll aus dem Haus

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