Abendland
Dr. Kupelian und mir nun gewiß kein wie auch immer geartetes erotisches Attachement bestand, projizierte ich doch Erwartungen in ihn, die meinen Ausdünstungen womöglich einen Duft beimischten, der dem des Libidinösen ähnlich war – schließlich ging’s ums Schreiben. Ich sperrte Suka im Haus ein, Dr. Kupelian und ich saßen auf der Veranda. Mit besorgter Neugier begutachtete er das Haus. Als ich ihn am Abend in die Stadt fuhr, ließ ich Suka allein zurück – zum ersten Mal.
Ich hatte Dr. Kupelian zu Weihnachten eine Karte geschickt und darauf erwähnt, daß ich mich zur Zeit ausschließlich von Shakespeare ernährte. Als ich ihm nun die hundertzwanzig Seiten der Novelle gab, die ich über den Winter geschrieben hatte – er hatte mich gebeten, erst gar nicht zu versuchen, eine Übersetzung herzustellen; das werde der Verlag in die Hand nehmen –, fragte er, was ich als nächstes vorhabe. Ich sagte, ich wisse es noch nicht. Er drückte mir ein mürbes Buch in die Hand, Tales from Shakespeare , erschienen im Jahr 1807 in London – »ein Geschenk des Verlags«. Die Autoren waren Charles und Mary Lamb.
»Tun Sie wie die beiden«, sagte er, »und Sie werden ein reicher Mann.«
Und damit begann ich an dem Abend, nachdem ich Dr. Kupelian zurück nach Bismarck gebracht hatte. Bis in den Herbst hinein dauerte diese Arbeit; sie »machte mich glücklich und heilte meine Wunden« (wie ich später im Klappentext zum Buch zitiert wurde, nachdem ebendort erzählt worden war, daß Charles Lamb auf die gleiche Weise die Geisteskrankheit seiner Schwester Mary zwar nicht geheilt, aber doch gemildert habe). Ich erzählte in Prosa die Geschichten von Macbeth und Othello , vom Wintermärchen und vom Sommernachtstraum , vom Kaufmann von Venedig und von Romeo und Julia (worin mich besonders die Figur des Mercutio bezauberte, dessen manische Rede in ihren Andeutungen beinahe universell ist; in meiner Nacherzählung des Stücks hat der spottende Parteigänger Romeos, solange er am Leben ist, denn auch die titelgebenden Personen deutlich in den Hintergrund gedrängt); die Geschichten von König Lear , Richard III. und Hamlet , von Falstaff aus den beiden Heinrichen, die Geschichte von Rosalinde aus Wie es euch gefällt , die Römerhistorie Julius Cäsar , die irre Komödie Ende gut alles gut und das bittere Lehrstück über Timon von Athen. Wenn ich eine Geschichte fertig hatte, schickte ich sie nach New York. Dr. Kupelians Antworten waren enthusiastisch und kritisch in einem. Wenn er enthusiastisch war, bildete ich mir ein, ich sei der Beste; wenn er kritisch war, glaubte ich, ich werde, wenn ich mich anstrenge, sogar noch besser. Es tut mir bis heute leid, daß ich in ihm nie etwas anderes als meinen Lektor gesehen habe, daß ich mich zu selten und auch nur floskelhaft nach seinem Befinden erkundigt hatte – ich wußte gar nichts über ihn, weder ob er verheiratet war und Kinder hatte, noch woher er stammte oder wie die Bedingungen seiner Arbeit im Verlag waren; andererseits vermittelte er mir den Eindruck, er sehe auch in mir ausschließlich den Autor und daß es ihm recht sei, wenn wir uns in unserer Kommunikation auf unsere Rollen beschränkten. Bald nach Erscheinen meines Shakespeare-Buches verließ er Marti Lipman und zog nach Los Angeles, wo ihm bei Paramount Pictures ein Job angeboten worden war; da lebte ich bereits nicht mehr in Amerika. Ich habe nie mehr etwas von ihm gehört.
8
Im Herbst 1985 kam Carls Brief. Ich überredete Lenny, daß er Suka für eine Woche in seine Obhut nehme. Im Leben meiner Mutter kündige sich eine grundlegende Veränderung an, sagte ich. Mit Lenny und Toni war Suka immer gut gewesen, von Anfang an. Sie schätzte die beiden als nicht konkurrenzfähig ein. Als ich ihr den Kopf streichelte und mich der Tür zuwandte, blickte sie mir nach, als würde ich nur schnell die sprichwörtlichen Zigaretten holen; was mich wiederum in meiner Einschätzung ihrer Instinkte etwas ernüchtern ließ, hatte ich doch damit gerechnet, sie werde die Unruhe, die mich in den letzten Tagen befallen hatte, richtig deuten.
Ich blieb eine Woche in Österreich. Das genügte allerdings, um meinen Lebensplan – wenn ich überhaupt einen gehabt hatte – über den Haufen zu werfen. Meine Mutter wollte also ins Kloster gehen. In was für einer Welt lebte ich eigentlich? Auf dem Rückflug beschloß ich, nach Hause zurückzukehren. Nach Wien nämlich. Nach Wien, wie ich es mir auf dem Friedhof in Queens so sehr gewünscht
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