Abendland
anvisiert war. Die Männerkrankheit war meine Quarantäne; ich war abgeschirmt gegen Brüste, Arsch, Venushügel und Schamlippen, gegen gaumentiefe Küsse und Hand anlegen und Hand anlegen lassen; ich war angewiesen und reduziert auf liebe Blicke, liebe Worte, Umarmung – kurz: das Herz. Ich sah der Frau Brugger an, daß sie mich durchschaute; und es störte sie nicht, daß ich den Umweg über ihre mütterlichen Gefühle wählte, um sie auf mich – auf mich , nicht auf meine Bücher – aufmerksam zu machen; sie würde mir ihre mütterlichen Gefühle zwar nicht zur Verfügung stellen, aber sie würde mir wenigstens den Anschein geben, als wäre dieser Weg möglich. Tatsache ist, daß mir das genügte. Vorläufig. Irgendwann, dachte ich, werde ich wiederhergestellt sein, und dann ließe sich ja vielleicht an diesen Nachmittag anknüpfen.
»Schreiben Sie an etwas Neuem?« fragte sie.
»Ich recherchiere noch.«
Ich bat sie, auf dem Sofa beim Kamin Platz zu nehmen. Ich setzte mich in Carls Lehnstuhl. Ob sie rauchen dürfe. Sie zog eine Schachtel rote Gauloises aus der Bomberjacke, ich ritzte ein Streichholz an, sie hielt mit den Daumenballen meine Hand fest, als sie die Flamme einsog, burschikos, kumpanenhaft, sie trinkt lieber Bier als Wein, dachte ich.
»Kommt Professor Candoris darin vor?«
»Ja.«
»Sind Sie deshalb hier?«
»Auch deshalb.«
»Wieder ein Doppelporträt? Wer ist der andere?«
»Nur ein Porträt.«
»Das verstehe ich. Dumme Frage von mir. Wen sollte man an seine Seite stellen? Er ist der intensivste Mensch, den ich je kennengelernt habe. Ich gebe zu, ich verstehe nicht viel von seinem Fach. Ich habe mir sagen lassen, seine Vorlesungen seien sehr anspruchsvoll gewesen, und er habe wenig Toleranz gegenüber den Begriffsstutzigen geübt, und eine solche bin ich, glaube ich. Ich habe gestern und vorgestern ein langes Gespräch mit Dr. Hechenberger geführt. Kennen Sie Dr. Hechenberger? Er ist Dozent bei den Mathematikern und mit Professor Candoris befreundet. Er hat mich gebrieft. Ich habe ihn gefragt: ›Was ist Professor Candoris für ein Mensch?‹ Vor allem, sagte er, vor allem sei er ein sehr hilfsbereiter Mensch.« – So hilfsbereit manchmal, daß es an einen Charakterfehler grenzt, hätte ich ergänzen wollen. – Sie blickte zur Decke, als lausche sie einer Musik. »Ich beneide Sie um Ihre Arbeit, wissen Sie das? Ich muß mir überlegen: Was sagt der Kameramann? Was sagt die Cutterin? Was sagen die von der Redaktion in Wien? Sie schreiben, was allein Sie für richtig halten. ›Porträt des Mathematikers als sehr alter Mann‹!« Ihre Stimme klang satt, dunkelbraun, wie Samt.
»Ein Buch werde ich über ihn schreiben«, sagte ich.
»Ein ganzes Buch über Professor Candoris!« Und als entwerfe sie den Klappentext: »›Minutiös beschrieben die letzten Tage dieses Mannes‹. Das ist schön.«
»Sozusagen.«
»Also müßte ich eigentlich auch darin vorkommen.«
In diesem Augenblick betraten Carl und Frau Mungenast den Raum. Er hatte den Arm um ihre Schultern gelegt, sie ihren um seine Hüfte.
Der Unwille in Frau Mungenasts Augen, als sie Frau Brugger vom ORF sah, war schamlos blank. Ich überließ Carl den Platz, sagte, ich wolle Kaffee aufstellen, und war schon draußen, ehe Widerspruch möglich war. Ich wollte Luft holen. Erregung, Traum und Vernunft benötigten ihre liebe Zeit, um zu einer Proportion in mir zu finden, die mich nicht als Idiot dastehen ließ. Ich setzte Wasser auf, zerschrämmte Kaffeebohnen in der elektrischen Mühle, schüttete das Pulver in einen Papierfilter, schaltete das Radio ein, das Frau Mungenast Carls Haushalt spendiert hatte – ein Moderator legte Opernarien von Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini auf und erzählte Anekdoten. Ich ließ mir Zeit. Ich wartete auf Frau Mungenast; daß sie zu mir in die Küche komme – ›Ich werde Sebastian helfen!‹ –, daß sie zu mir sagte: ›Warum lassen Sie mich mit dieser grellen Kuh allein!‹; es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, mich so dicht vor sie hinzustellen, daß ihr nur übriggeblieben wäre, entweder einen Schritt zurückzutreten, oder ihren Körper an meinen zu pressen. Sie kam nicht. Ich breitete die Ingwerkekse, die ich schon vor einigen Tagen in einem Winkel des Küchenkastens entdeckt hatte, über einen Teller und trug ihn zusammen mit Tellern und Tassen und Kaffeekanne auf einem Tablett in den Salon.
Frau Brugger war an das eine Ende des Sofas gerutscht, so daß sie möglichst nahe bei Carl
Weitere Kostenlose Bücher