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Abendland

Abendland

Titel: Abendland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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weil wir zusammengehörten. Diese Zweifellosigkeit wäre mir erträglicher gewesen, wenn sie sich mit ein wenig Pathos zu einem Klischee verbunden hätte; aber für Evelyn war die Liebe ein rein irdisches Ding, das für sich schön genug war und keinen Sanctus aus welcher Himmelsrichtung auch immer benötigte.
    Sie sagte: »Die Black Muslims raten: Halbiere das Alter des Mannes, zähl sieben dazu, so alt soll die Frau sein. Rechne nach, was bei uns herauskommt!«
    Ich sagte: »Woher weißt du das?«
    Sie: »Aus einem Film über Malcolm X.«
    Sie wäre gern mit mir zusammengezogen; hatte mir das schon nach den ersten drei Wochen unserer Beziehung dargelegt und wiederholte es nach jedem Frühstück. »Ich verdiene nicht schlecht, und du verdienst auch nicht schlecht, wir könnten uns etwas wirklich Großes leisten, vielleicht sogar ein Haus etwas außerhalb.« Ich arbeitete gern mit ihr zusammen, ich hörte ihr gern zu, und ich mochte es, wenn sie mir zuhörte. Wir hatten es gut im Bett. Aber nichts, was wir zusammen taten, wies über sich hinaus. Weder wenn wir zusammen arbeiteten noch miteinander schliefen, langweilten wir uns.
    Seit zwölf Jahren wohne ich in der Heumühlgasse, erst als Mieter, inzwischen als Eigentümer. Ich habe viel Geld und viel Gewohnheit in mein Zuhause gesteckt. Ich hatte erst vor einem Jahr einen Teil des Dachbodens dazugekauft und zu einem Arbeitszimmer ausgebaut. Wenn ich jetzt an meinem Schreibtisch sitze (den ich mir von einem befreundeten Architekten bis ins kleinste nach meinen Wünschen habe anfertigen lassen, mehr ein Cockpit als ein Schreibtisch ist daraus geworden), schaue ich auf einen Teil des flachen Blechdaches, wo ich im Sommer Tisch, Sessel, Liege und Sonnenschirm aufbauen darf und vor allem: zu dem ich allein Zutritt habe; und ich schaue weiter über die Dächer der Wienzeile – ein Stück Stadtprofil, das ich jederzeit frei aus dem Gedächtnis nachzeichnen könnte; strecke ich mich ein wenig, kann ich den Turm der Stephanskirche sehen; an den Abenden fliegen die Krähen und Raben durch den Himmel vor meinem Fenster, hinaus nach Westen, nach Hütteldorf, wo sie im Park um das Irrenhaus Steinhof ihre Schlafplätze haben. Einen fausthohen Stapel mit Skizzen hatte ich angefertigt und meinem Freund vorgelegt, der sie umgezeichnet und verbessert hat, bis am Ende ein ideales Arbeitszimmer auf dem Papier aufgerissen war, das nicht größer als nötig sein würde, eingerichtet mit drei miteinander verbundenen Tischen von verschiedener Höhe, mehreren raffiniert verteilten Regalen, einem bequemen Sofa, zwei hohen, durch Knopfdruck beschattbaren Fenstern und einer schmalen Tür hinaus aufs Dach. Ich öffne die Tür, die Luft des frühen Frühlings läßt mich glücklich sein, und daß ich allein hier lebe, empfinde ich als eine Gnade. Ich höre die Chinesen, die den Laden im Erdgeschoß besitzen; sie hocken im Innenhof, putzen ihren Kohl, reden und lachen miteinander, manchmal rufe ich ihnen zu, und sie antworten mir; an heißen Tagen fault der Abfall in der Mülltonne und stinkt bis zu mir herauf. Unten in meinem ehemaligen Arbeitszimmer ließ ich eine Wand einziehen, eine Hälfte sollte ein neues Badezimmer werden, die andere ein neues Schlafzimmer. Die Arbeiten am Badezimmer waren gerade im Gange, als ich meine Diagnose erhielt. Ich habe den Fliesenleger angerufen und den Auftrag auf unbestimmte Zeit verschoben. Aus meinem bisherigen Schlafzimmer wurde ein zweiter Bibliotheksraum, von dem aus eine Wendeltreppe hinauf in mein neues Arbeitszimmer führte; aus der fensterlosen Dusche sollte ein kleines Archiv für Zeitungen, Zeitschriften, Fotokopien und die Belegexemplare meiner Bücher werden. – »Als ich in diese Wohnung eingezogen bin«, sagte ich zu Evelyn, »warst du einen Kopf kleiner als ich. Sogar in den Gestank von faulendem chinesischem Gemüse bin ich verliebt.« »Ich habe schon verstanden«, sagte sie, und es klang nicht bitter.
    Am Anfang hatten wir im Ton zwar freundliche, aber doch enervierende Debatten geführt, weil ich partout nicht erklären konnte, warum ich nicht bei ihr über Nacht bleiben wollte, und auch nicht wollte, daß sie bei mir über Nacht blieb. Wir saßen auf ihrem Bett oder in ihrer Küche, die Tigerkatze Pnini hockte daneben und wandte ihren Kopf von ihr zu mir und wieder zurück, als sähe sie einem Match zu. Evelyn ist nicht nur eine optimistische, sie ist vor allem eine pragmatische Frau. Sie schlug vor: »Gib uns zwei Nächte, das ist ein

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