Abendruh: Thriller (German Edition)
Roman.
Der Förster schnaubte. »Ziemlich gut.«
»Was heißt das?«
»Ich gehe auf die Jagd.«
»Hirsche? Eichhörnchen?«
»An ’nem Eichhörnchen ist viel zu wenig dran, das lohnt sich nicht.«
»Aber Sie könnten eins treffen, wenn Sie wollten?«
»Ich könnte Ihnen auch auf hundert Meter ein Auge ausschießen. Darauf wollen Sie doch hinaus, stimmt’s? Sie wollen wissen, ob ich den Typ da oben am Berg abgeschossen habe?«
»Sie hatten Gelegenheit, die Leiche zu untersuchen, nicht wahr?«
»Der Hund hat uns direkt hingeführt. Ich musste die Leiche nicht groß untersuchen. Es war ja sonnenklar, was ihn getötet hatte.«
»Das ist doch sicher kein einfacher Schuss – ein Pfeil mitten ins Auge. Gibt es sonst noch jemanden an der Schule, der dazu in der Lage wäre?«
»Kommt auf die Entfernung an, nicht wahr?«
»Hundert Meter.«
Roman schnaubte. »Da bin ich der Einzige hier.«
»Von den Schülern könnte es keiner?«
»Von denen macht das keiner lange genug. Dazu braucht es viel mehr Übung.«
»Wie haben Sie es gelernt?«
»Hab’s mir selbst beigebracht.«
»Sie jagen nur mit dem Bogen? Nie mit Gewehr?«
»Gewehre mag ich nicht.«
»Warum nicht? Mir scheint, dass ein Gewehr für die Hirschjagd sehr viel praktischer wäre.«
Sansone schaltete sich ein. »Ich glaube, Mr. Roman hat Ihnen alles gesagt, was Sie wissen wollten.«
»Es ist eine simple Frage. Warum will er kein Gewehr benutzen?« Der Detective starrte Roman an und wartete auf eine Antwort.
»Sie müssen keine weiteren Fragen beantworten, Roman«, sagte Sansone. »Nicht ohne einen Anwalt.«
Roman seufzte. »Nein, ich werde sie beantworten. Ich hab den Eindruck, dass er sowieso schon über mich Bescheid weiß.« Er sah den Polizisten unverwandt an. »Vor fünfundzwanzig Jahren habe ich einen Mann getötet.«
In der folgenden Stille war deutlich zu hören, wie Maura nach Luft schnappte, und jetzt endlich wandte der Detective sich zu ihr um. »Dr. Isles, würden Sie bitte den Raum verlassen? Ich möchte die Vernehmung gerne unter vier Augen fortsetzen.«
»Sie soll ruhig bleiben, mir macht das nichts«, sagte Roman. »Besser, es kommt gleich alles ans Licht, dann gibt es keine Geheimnisse mehr. Ich wollte sowieso nie ein Geheimnis draus machen.« Er sah Sansone an. »Auch wenn Sie es für das Beste gehalten haben.«
»Sie wissen davon, Mr. Sansone?«, fragte der Polizist. »Und Sie haben ihn trotzdem hier eingestellt?«
»Lassen Sie sich von Roman die Hintergründe erläutern«, sagte Sansone. »Er verdient es, gehört zu werden und den Fall in seinen eigenen Worten zu schildern.«
»Okay. Dann lassen Sie mal hören, Mr. Roman.«
Der Förster trat ans Fenster und deutete auf die Hügelkette. »Ich bin dort drüben aufgewachsen, nur ein paar Meilen hinter diesen Bergen. Mein Vater war hier Hausmeister; er hat im Schloss nach dem Rechten gesehen, lange bevor es eine Schule wurde. Damals wohnte hier niemand, es war nur ein leer stehendes Gebäude, das auf einen Käufer wartete. Natürlich gab es auch ungebetene Besucher. Manche sind nur zum Jagen gekommen. Die haben ihren Hirsch geschossen, haben ihn eingesackt und sind verschwunden. Aber manche waren auch auf Ärger aus. Haben Fenster eingeschmissen, die Veranda in Brand gesteckt. Oder Schlimmeres. Und wenn Ihnen jemand über den Weg lief, konnten Sie nie wissen, von welcher Sorte der war …«
Er schöpfte einen Moment Atem. »Ich bin ihm da drüben begegnet, als ich aus dem Wald kam. In der Nacht hat kein Mond geschienen. Er stand einfach plötzlich vor mir. Ein großer Kerl, Knarre in der Hand. Wir haben uns angeschaut, und er hat sein Gewehr angelegt. Ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat, und ich werde es auch nie erfahren. Ich weiß nur, dass ich ganz instinktiv reagiert habe. Ich hab ihm in die Brust geschossen.«
»Mit einem Gewehr.«
»Ja, Sir. Einer Schrotflinte. Er ist zusammengesackt wie ein Stein, und er war wahrscheinlich innerhalb von zehn Sekunden tot.« Roman seufzte und setzte sich hin, die zerschundenen Hände auf den Knien. Er wirkte plötzlich zehn Jahre älter. »Ich war gerade achtzehn geworden. Aber ich nehme an, das wussten Sie schon.«
»Ich habe Sie überprüfen lassen.«
Roman nickte. »Ist ja hier in der Gegend sowieso kein Geheimnis. Die Sache ist die: Der Mann war kein Heiliger, auch wenn er der Sohn eines Arztes war. Aber ich hab ihn erschossen, also musste ich ins Gefängnis. Vier Jahre wegen Totschlag.« Roman sah auf seine Hände
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