Abendstern - Roman
abgeschlossen. Du bist zu ihr ins Auto gestiegen und hast dich zu einem Haus mit zwei fremden Männern fahren lassen.«
»Ja, das ist sicher das richtige Stichwort. Ich hatte Angst, war verwirrt und stand unter Strom.« Sie blickte zu Lump, der sich im Schnee wälzte. »Ich habe meinen Instinkten vertraut.«
»Instinkt kann man es auch nennen. Ich wette, dass du in deinem Laden immer ganz genau wusstest, was die Kunden wollten, oder? Ich wette, darin warst du unheimlich gut.«
Er schaufelte weiter Schnee, als sie schwieg. »Du konntest wahrscheinlich immer schon gut mit Menschen umgehen. Quinn sieht, genau wie Cal, Szenen aus der Vergangenheit. Cybil kann anscheinend zukünftige Ereignisse ahnen, ähnlich wie Gage. Ich würde sagen, du bleibst wie ich in der Gegenwart, Layla.«
»Ich kann nicht Gedanken lesen, und ich will auch nicht, dass das jemand bei mir tut.«
»Darum geht es ja auch gar nicht.« Er müsste mit ihr arbeiten, dachte er. Sie musste erfahren, welche Gabe sie besaß und wie sie damit umgehen musste. Er sollte ihr Zeit lassen, sich an den Gedanken zu gewöhnen.
»Wahrscheinlich sind wir ja für das Wochenende hier eingeschneit, aber wenn wir wieder in der Stadt sind, könntest du vorbeikommen und dir von Mrs H alles erklären lassen. Dann sehen wir ja, ob dir der Job gefällt.«
»Hör mal, ich bin dir dankbar für dein Angebot …«
»Nein, das bist du nicht.« Er lächelte sie an. »Nicht sehr jedenfalls. Ich habe auch Instinkte, musst du wissen.«
Er hatte nicht nur Humor, er verstand sie auch, ihre Steifheit löste sich in Wohlgefallen auf. »Doch, ich bin auch dankbar, aber darunter liegt Ärger.«
Er legte den Kopf schief und hob seine Schaufel. »Sollen wir ihn ausgraben?«
Sie lachte. »Wir machen es so: Ich nehme den Job nur, wenn wir uns einig sind, dass wir sofort sagen, wenn es nicht funktioniert.«
»Abgemacht.« Er streckte die Hand aus, und sie schlug ein. Auf einmal standen sie im Schneegestöber, und er hielt ihre Hand länger als nötig fest.
Sie musste es doch auch spüren, dachte er. Da war eine spürbare Verbindung. Ein Wiedererkennen.
Cybil öffnete die Tür einen Spaltbreit. »Frühstück ist fertig.«
Fox ließ Laylas Hand los und drehte sich um. Er atmete tief durch, bevor er nach dem Hund pfiff.
Sie mussten sich um alles Mögliche kümmern, Schnee schaufeln, Brennholz aufstapeln, Geschirr spülen und Essen kochen. Cal hätte durchaus das Gefühl haben können, dass sein geräumiges Haus mit sechs Personen
zunehmend enger wurde, aber er wusste, dass sie zusammen sicherer waren.
»Und nicht nur sicherer.« Quinn begann, einen Weg zu Cals Lagerschuppen frei zu schaufeln. »Das soll wahrscheinlich alles so sein. In dieser Notgemeinschaft lernen wir, uns aneinander zu gewöhnen und als Gruppe zu funktionieren.«
»Komm, lass mich weitermachen.« Cal stellte die Gasflasche für den Generator beiseite.
»Nein, das ist keine Teamarbeit. Ihr Jungs müsst lernen, dass auch Frauen ihr Teil dazu beitragen können. Dass Gage heute früh Frühstück gemacht hat, ist ein Beispiel für geschlechtsübergreifendes Teamwork.«
Eine Frau, die solche Ausdrücke benutzte, musste man ja geradezu lieben, dachte er.
»Wir können alle kochen«, fuhr sie fort. »Wir können alle Schnee schaufeln, Brennholz schleppen, Betten machen. Wir können alle alles, aber bis jetzt ist es so ein bisschen wie ein Schulball.«
»Wieso?«
»Jungen auf der einen Seite, Mädchen auf der anderen, und niemand weiß so genau, wie sie zusammenkommen sollen. Jetzt sind wir dazu gezwungen worden und müssen damit klarkommen.« Sie hielt inne und rollte die Schultern. »Auch wir beide, Cal, weil wir uns immer noch kennen lernen und lernen, einander zu vertrauen.«
»Du bist sicher ärgerlich, weil ich dir nicht früher von dem Stein erzählt habe.«
»Nein, das bin ich nicht.« Der Form halber schaufelte sie noch ein bisschen weiter, aber ihre Arme taten auf
einmal entsetzlich weh. »Am Anfang schon, aber ich habe es nicht lange durchgehalten. Ihr drei seid euer Leben lang eine Einheit gewesen, und diese schrecklichen Erlebnisse haben euch noch enger zusammengeschweißt. Ihr seid … wie ein Körper mit drei Köpfen.« Sie hielt inne. »Nein, das Bild stimmt nicht. Ihr seid wie eine Faust, aber …« Sie wackelte mit ihren behandschuhten Fingern. »Aber trotzdem individuell. Ihr arbeitet ganz instinktiv zusammen. Und jetzt.« Sie hob die andere Hand. »Jetzt kommen wir daher. Und wir müssen
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