Abendstern - Roman
etwas nicht in der Lage. Ich kann mir ja kaum die Nägel lackieren. Wie ist es mit dir?«, wandte Quinn sich an Layla.
»Ich kann nicht nähen, aber ich male gerne. Also, ich streiche Wände an. Beim letzten Mal habe ich mit Reißtechnik gearbeitet, und das ist eigentlich ganz schön geworden.«
»Mein Exverlobter konnte so etwas ganz gut.«
»Sie waren verlobt?«, fragte Frannie.
»Das dachte ich, aber unsere Ansichten gingen weit auseinander.«
»Es kann schwierig sein, Karriere und Privatleben miteinander zu verbinden.«
»Ach, ich weiß nicht. Das wird doch ständig gemacht - zwar mit unterschiedlichem Erfolg, aber immerhin. Es müssen sich nur die Richtigen finden. Knifflig ist es vor allem, den Richtigen zu erkennen. War es denn bei Ihnen nicht ähnlich?«
»Als ich Frannie zum ersten Mal sah, wusste ich, dass sie die Richtige ist.« Jim strahlte seine Frau an. »Frannie war allerdings ein bisschen kurzsichtiger.«
»Ein bisschen realistischer«, korrigierte Frannie ihn. »Schließlich waren wir damals erst acht und zehn. Außerdem gefiel es mir ganz gut, dass du mir immer nachgelaufen bist. Ja, Sie haben recht.« Frannie wandte sich Quinn zu. »Man muss einander erkennen und im anderen etwas sehen, das den Wunsch erweckt, immer bei ihm zu bleiben.«
»Manchmal glaubt man etwas zu sehen«, ergänzte Quinn, »muss aber dann feststellen, dass es nur eine Sinnestäuschung war.«
Quinn wusste, wie man die Menschen für sich einnahm. Frannie Hawkins war nicht leicht zu knacken, aber Quinn gelang es, sie in die Küche zu begleiten, um Dessert und Kaffee zu holen.
»Ich liebe Küchen. Ich kann zwar nicht besonders gut kochen, aber ich liebe die Geräte und das Zubehör, die glänzenden Flächen.«
»Sie gehen wahrscheinlich viel auswärts essen in Ihrem Beruf.«
»Nein, meistens esse ich zu Hause oder lasse mir etwas kommen. Ich habe - was meine Ernährung angeht - vor zwei Jahren meinen Lebensstil geändert. Ich war fest entschlossen, mich gesünder zu ernähren und weniger Fast Food zu mir zu nehmen. Mittlerweile kann ich ganz ordentlich Salat zubereiten. Für den Anfang ist das doch nicht schlecht. O Gott, o Gott, das ist Apfelkuchen. Selbst gebackener Apfelkuchen. Ich muss vermutlich zur Strafe doppelt so lange trainieren, weil ich Sie um ein riesengroßes Stück bitten werde.«
Mit offensichtlichem Vergnügen warf Frannie ihr einen
verschmitzten Blick zu. »À la mode, mit Vanilleeis?«
»Ja, aber nur, um meine tadellosen Manieren zu zeigen.« Quinn zögerte einen Moment lang und fuhr dann fort: »Ich möchte Sie etwas fragen, wenn Sie das Thema allerdings heute Abend als Tabu betrachten, dann sagen Sie mir das. Fällt es Ihnen schwer, dieses normale Leben aufrechtzuerhalten, obwohl Sie wissen, dass Sie alle bedroht sind?«
»Es ist sehr schwer.« Frannie wandte sich ihrem Kuchen zu, während der Kaffee durchlief. »Aber es ist notwendig. Ich wollte, dass Cal weggeht, und wenn er gegangen wäre, hätte ich auch Jim überredet, mit mir den Ort zu verlassen. Ich könnte das, ich könnte all das zurücklassen. Aber Cal konnte es nicht. Ich bin inzwischen sehr stolz auf ihn, weil er hierbleibt und nicht aufgibt.«
»Erzählen Sie mir, was damals passiert ist, als er an dem Morgen seines zehnten Geburtstags nach Hause gekommen ist?«
»Ich war im Garten.« Frannie trat ans Fenster und blickte hinaus. Sie sah alles deutlich vor sich, jedes Detail. Wie grün das Gras war, wie blau der Himmel. Ihre Hortensien standen kurz davor aufzublühen, die leuchtend blauen Speere des Rittersporns beherrschten ihren Garten.
Sie schnitt die verblühten Rosenblüten heraus, konnte das geschäftige Klappern ihrer Gartenschere hören und das Summen des Rasenmähers ihrer Nachbarn - damals hatten Jack und Lois Peterson nebenan gewohnt. Sie konnte sich auch noch daran erinnern, dass sie über
Cals Geburtstagsparty nachgedacht hatte. Sie hatte gerade seinen Kuchen im Ofen.
Ein Schokoladenkuchen, den sie mit weißem Zuckerguss überziehen wollte, um den Eisplaneten aus einem Star Wars Film nachzumachen. Cal liebte Star Wars schon seit Jahren. Sie hatte die kleinen Filmfiguren besorgt, die sie darauf verteilen wollte, und in der Küche lagen zehn Kerzen bereit.
Ob sie ihn nun gehört oder gespürt hatte - wahrscheinlich beides -, auf jeden Fall blickte sie sich um, als er angeradelt kam, blass, schmutzig, verschwitzt. Ihr erster Gedanke war: Er hat einen Unfall gehabt. Sie stürzte zu ihm, dann fiel ihr auf, dass er
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