Abendstern - Roman
sein.«
»Ich werde noch einmal mit Mrs H reden.« Fox schüttelte den Kopf. »Sie ist fahrig und nervös und redet
ständig davon, dass sie schon nächsten Monat weggehen will. Ich dachte, sie wäre nur unruhig, weil sie jetzt entschlossen ist wegzuziehen, aber vielleicht steckt ja mehr dahinter.«
»In Ordnung.« Jim stieß die Luft aus. »Tut, was ihr für richtig haltet. Ich kümmere mich hier um alles.«
»Okay. Dann fahre ich Gran in die Bibliothek, wenn sie heute dorthin möchte«, erwiderte Cal. »Danach komme ich und löse dich ab, damit du sie dann nach Hause fahren kannst.«
Cal ging zu Fuß zu Essies Haus. Sie lebte nur einen Block entfernt in einem hübschen kleinen Haus, das sie zusammen mit seiner Kusine Ginger bewohnte. Essies Konzession an ihr Alter war, dass Ginger den Haushalt führte, die Einkäufe und das Kochen erledigte und Essie zum Arzt fuhr, wenn es nötig war.
Ginger war eine patente, praktische Frau, die seiner Gran nur unter die Arme griff, wenn es wirklich nötig war, und sie ansonsten in Ruhe ließ. Ginger zog Fernsehen dem Lesen vor und sah für ihr Leben gern Soaps am Nachmittag. An Männern war sie seit ihrer katastrophalen Ehe, die kinderlos geblieben war, nicht mehr interessiert.
Soweit Cal es beurteilen konnte, kamen seine Kusine und Gran in dem kleinen Haus mit der fröhlichen, blau gestrichenen Veranda hervorragend miteinander aus.
Gingers Auto stand nicht vor dem Haus, als er ankam, und er fragte sich, ob sie mit Essie wohl beim Arzt war. Aber vielleicht war sie ja auch nur zum Einkaufen gefahren.
Als er klopfte, öffnete ihm zu seinem Erstaunen Quinn die Tür.
»Hi. Komm herein. Essie und ich trinken gerade im Wohnzimmer Tee.«
Er ergriff sie am Arm. »Warum bist du hier?«
Das fröhliche Willkommenslächeln erlosch bei seinem scharfen Tonfall. »Ich habe einen Job. Und Essie hat mich eingeladen.«
»Warum?«
»Wenn du hereinkommen würdest, statt mich so finster anzufunkeln, könnten wir es beide herausfinden.«
Da ihm nichts anderes übrig blieb, ging Cal in das hübsche Wohnzimmer seiner Urgroßmutter, wo blühende Usambaraveilchen auf der Fensterbank standen, Bücherregale die Wände bedeckten und überall Familienbilder und Erinnerungsstücke standen.
Seine geliebte Gran saß wie eine Königin in einem Armlehnsessel. Er beugte sich zu ihr herunter und küsste sie auf die Wange. »Cal. Ich dachte, du müsstest heute Morgen arbeiten.«
»Unsere Sitzung ist vorbei, und Dad ist im Center. Ich habe Gingers Auto gar nicht gesehen.«
»Sie macht ein paar Besorgungen, weil ich ja Gesellschaft habe. Quinn wollte gerade den Tee einschenken. Nimm dir eine Tasse aus dem Schrank.«
»Nein, danke. Ich hatte gerade Frühstück.«
»Wenn ich gewusst hätte, dass du Zeit hast, hätte ich dich auch angerufen.«
»Für dich habe ich doch immer Zeit, Gran.«
»Er ist mein Junge«, sagte Essie zu Quinn und drückte Cal die Hand. »Danke«, fügte sie dann hinzu und
nahm die Tasse entgegen, die Quinn ihr reichte. »Setzt euch doch. Ich möchte gleich zur Sache kommen. Ich wollte euch fragen, ob es bei der Tanzveranstaltung gestern Abend einen Zwischenfall gegeben hat. Einen Zwischenfall kurz vor zehn.«
Sie blickte Cal an, und als sie die Antwort in seinen Augen las, schloss sie die Augen. »Ich habe es mir gedacht.« Ihre Stimme bebte. »Ich weiß nicht, ob ich erleichtert sein soll oder nicht. Erleichtert, weil ich schon dachte, ich verliere den Verstand. Zugleich aber macht es mir auch Angst. Also war es real, was ich gesehen habe.«
»Was hast du gesehen?«
»Es war, als stünde ich hinter einem Schleier. Ich glaubte, Blut zu sehen, aber es schien niemandem aufzufallen. Es bemerkte auch niemand die Spinnen, die überall herumliefen und von der Decke fielen.« Sie fuhr sich mit der Hand an den Hals. »Ich konnte es nicht deutlich erkennen, aber ich habe eine schwarze Gestalt gesehen. Sie schien in der Luft zu schweben. Ich habe schon gedacht, es sei der Tod.«
Sie lächelte leise, als sie mit ruhiger Hand die Teetasse zum Mund führte. »In meinem Alter ist man auf den Tod vorbereitet, oder man sollte es zumindest sein. Aber die Gestalt hat mir Angst gemacht. Dann war sie auf einmal verschwunden, der Schleier hob sich wieder, und alles war so wie zuvor.«
»Gran …«
»Warum ich es dir nicht schon gestern Abend gesagt habe?«, unterbrach sie ihn. »Ich kann in deinem Gesicht lesen wie in einem offenen Buch, Caleb. Ich weiß
nicht. Ich wollte einfach nur noch
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