Abenteuer des Werner Holt
Frau Ziesches Nummer. »Werner? Gott sei Dank! Hier gehen die tollsten Gerüchte um, ist es denn wahr?« – Holt vermied vor Gottesknecht jede Anrede. »Komm zu mir«, sagte Frau Ziesche. – »Das geht heut nicht.« – »Ist Ziesche wohlauf?« fragte sie endlich. »Er hat Glück gehabt«, sagte Holt, und nun mußte Gottesknecht erraten, mit wem er sprach, »er ist unverletzt, bloß mit den Nerven runter.« Er glaubte, die Verbindung sei unterbrochen. Aber da meldete sie sich wieder: »Schade, daß du nicht kommen kannst! Laß dich recht bald bei mir sehen!« – »Ja. Natürlich.« – »Und paß auf dich auf, hörst du?« Sie sorgt sich um mich, dachte er, während er den Hörer auf die Gabel legte. Er wäre gern zu ihr gefahren, nun war ihm der Sonntag verleidet. Viele Luftwaffenhelfer ließen sich von ihren Mädchen besuchen. Warum hab ich nicht eine Freundin, mit der ich mich hier sehen lassen kann?
Vetter und Rutscher gaben keine Ruhe, ehe Holt nicht mit ihnen Skat spielte. Vetter reizte: »Achtzehn …« Wolzow sagte: »Das hat mit Klugscheißerei gar nichts zu tun. Wir brauchen eineZwozentimeter-Flak!« – »Vierundzwanzig?« wiederholte Holt unschlüssig. »Ich passe. Meinst du, daß die was nützen würde?« Vetter rief: »Vier, sieben, dreißig, drei, sechs …?« – »Und ob!« sagte Wolzow. »Wenn hier eine Vierlingsflak gestanden hätte, da wären die Fetzen geflogen!« – »Die hätten auch eine Vierlingsflak zur Sau gemacht!« – »Vierzig!« rief Vetter. Wolzow sagte brummig: »Aber von den Mustangs hätten mindestens zwei dran glauben müssen!« – »Grand!« sagte Vetter stolz.
Sie spielten. Wolzow, den »Clausewitz« vor sich, meinte: »Da haben sie nun auf der B 2 die beiden MGs, und keiner hat geschossen!« Gomulka sagte von seinem Bett her: »Es wäre auch sinnlos gewesen!« – »Vierundachtzig, siebenundachtzig, einundneunzig, Schneider!« sagte Vetter. »Heute sind fünfzehn Mann ausgefallen. Ob’s da großen Urlaub gibt?« Ziesche brummte von seinem Bett her: »Im gegenwärtigen Stadium des Krieges ist Urlaub überflüssig!« – »Kaum kann der Ziesche wieder den Mund aufmachen«, krähte Vetter, »da quatscht er dämlich! So was!« Ziesche schrie bebend: »Ich laß mir diese Beleidigungen nicht mehr gefallen!« – »Was willst du denn machen?« fragte Vetter. »Du weißt ja genau, daß wir dir nach Belieben den Popo vollhauen können!« Aber Wolzow sagte: »Christian, laß den Ziesche in Ruhe, der gehört jetzt zu uns alten Kriegern!«
Holt wechselte einen Blick mit Gomulka.
Ziesche mußte am Abend doch ins Revier gebracht werden. Das Gliederzittern wollte nicht nachlassen. »Hoffentlich wird er nicht so’n Schüttler!« sagte Rutscher. Aber der Sanitäter erklärte fachkundig: »Der kriegt Prontosil und spurt wieder.« Wolzow verbrachte den Tag in der Kantine. Am Abend erzählte er: »Dort sitzen die SS-Leute vom Russenkommando. Die schweinigeln was weg!«
Nachts dröhnte der Himmel von Bombermotoren. Weit im Osten fielen Leuchtzeichen. »Dortmund!« sagte Holt. Er war an Berta Geschützführer. Ringsum schoß Flak. Dann feuerte auch die 107. Batterie.
Der Lehrer fand am anderen Morgen fast keine Schüler vor.Holt, Gomulka und Wolzow halfen, Geschütz Anton in Stellung zu bringen. Der Luftvorholer war geschweißt worden. Die Kriegsgefangenen schlossen den Geschützstand. Wolzow befahl Munitionsreinigen. »Ich will so bald keinen Hülsenklemmer mehr erleben!« Sie zogen die Hemden aus und arbeiteten. »Hier an der Kanone ist das Leben noch am erträglichsten«, sagte Holt.
Am Nachmittag wurde Gefechtsschaltung befohlen. Die Luftlagemeldungen nannten Ludwigshafen, Mannheim und Schweinfurt. Weitere Bomberverbände flogen über die Alpen in den süd- und südostdeutschen Raum. Am späten Nachmittag lag Holt übermüdet auf seinem Bett. Gomulka steckte den Kopf durch die Tür und rief ihn heraus.
Er war aufgeregt. »Schau dir das an!«
Beim Kugelbaum arbeiteten die Kriegsgefangenen an einem Trichter. Der SS-Posten stieß mit dem Kolben seines Karabiners nach einem der Gefangenen, stieß ihn zu Boden und trat ihn mit Füßen.
Holt lief in die Stube zurück, wo Wolzow mit Vetter und Rutscher beim Kartenspiel am Tisch saß. »Gilbert! Draußen schlägt ein SS-Mann die Gefangenen!«
»Na und …?« fragte Wolzow gedehnt. »Was gehn denn mich die Russen an!«
Ja. Was gehen uns die Russen an? »Wir sollten uns das nicht bieten lassen, Gilbert.« – »Jetzt laß mich
Weitere Kostenlose Bücher